Scheidung neu: Befriedung lässt auf sich warten

Scheidung Befriedung laesst sich
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Mit gemeinsamer Obsorge trotz Trennung der Eltern sollte das neue Kindschaftsrecht das Konfliktpotenzial im Interesse der Kinder verringern. Gestritten wird vorerst zumindest gleich viel, Hilfsangebote fehlen noch.

Wien. Die gemeinsame Obsorge nach der Trennung von Eltern war einer der Kernpunkte der Reform des Kindschaftsrechts im heurigen Februar. Überraschend schnell schlägt sich diese Neuerung in Urteilen aller Instanzen bis zum Obersten Gerichtshof nieder. Weniger schnell zeitigt die Reform die beabsichtigte befriedende Wirkung. Erste Erfahrungen deuten darauf hin, dass manche Neuerungen vorerst für zusätzlichen Zündstoff sorgen: „Die Streitigkeiten um Kinder haben stark zugenommen, die gegenteilige Erwartung ist bisher nicht eingetreten“, sagt etwa Anwalt Norbert Marschall, Partner von Helene Klaar, in einer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei. Doris Täubel-Weinreich, Vorsitzende der Fachgruppe Familienrecht der Richtervereinigung, kann das zwar nicht bestätigen, aber auch sie sagt zur „Presse“: „Es wird gleich viel gestritten.“

Wahl von Kindergarten, Wohnort

Eine der ersten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zum neuen Kindschaftsrecht illustriert dessen Wirkungsweise. Die Eltern eines dreijährigen Buben hatten sich vor zwei Jahren scheiden lassen. Die Mutter wollte von Anfang an die alleinige Obsorge: Nur sie hätte demnach über wichtige Fragen wie die Wahl des Kindergartens und des Wohnorts oder die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung des Sohnes zu entscheiden gehabt. Der Vater jedoch wollte die gemeinsame Obsorge beibehalten, sodass auch er derlei Entscheidungen hätte treffen können. Und wenn die Obsorge beider Eltern nicht möglich gewesen wäre, dann hätte er sie allein haben wollen.

Die Jugendwohlfahrt attestierte beiden Eltern, sich sehr um das Kind zu bemühen; fachlich spreche nichts dagegen, die gemeinsame Obsorge beizubehalten. Da das nach alter Rechtslage aber gegen den Willen eines Elternteils nicht möglich war, konzentrierte sich das weitere Verfahren auf die Frage, ob die Mutter oder der Vater die alleinige Obsorge haben sollte, um den Interessen des Kindes am besten zu entsprechen. Das Verhältnis zwischen den Eltern verschlechterte sich.

Hier setzt die Argumentation des OGHs mit dem neuen Recht an. Die Spannungen können nämlich auch daher rühren, dass das bisherige Verfahren zwangsläufig zu einer Polarisierung führte. Denn es galt nur, zwischen der Obsorge des Vaters oder der Mutter zu entscheiden, so der OGH. „Dabei konnte die Mutter auf die gängige Praxis vertrauen, dass die Beziehungs- und Betreuungskontinuität zumal bei einem Kleinkind für sie sprechen würde, während der Vater gravierende Mängel dieser Betreuung aufzeigen musste, um eine alleinige Betrauung mit der Obsorge zu erwirken“ (4 Ob 32/13d). Der OGH hält es für „nicht ausgeschlossen, dass die Eltern ihre diesbezügliche Haltung aufgrund der neuen Rechtslage überdenken“.

Nach ihr können im Interesse des Kinds beide Eltern auch gegen den Willen eines Teils mit der Obsorge betraut werden; dabei muss festgelegt werden, in wessen Haushalt das Kind überwiegend betreut werden soll (auf dieser Seite allein liegt dann auch die Entscheidung über den Wohnort).

Verständigung wieder möglich?

Bei der nach wie vor aufrechten gemeinsamen Obsorge muss jetzt die erste Instanz neu entscheiden. Laut Anwalt Marschall, Vertreter des Vaters in diesem Verfahren, wird als Nächstes erst einmal ein Gutachten darüber erstellt, ob sich die Gesprächsbasis wirklich bessern lässt, sodass die gemeinsame Obsorge auch für die Zukunft festgelegt werden kann.

Marschall stellt über diesen Einzelfall hinaus fest, dass die Belastung seiner Kanzlei mit Pflegschaftsauseinandersetzungen – wie Obsorge, Kontaktrecht – „extrem zugenommen“ habe. Richterin Täubel-Weinreich sieht in Fällen, in denen die zweite Instanz trotz erbitterten Streits der Elternteile die gemeinsame Obsorge einfach festlegt, eine Verlagerung des Streits: „Dann wird eben über Kontaktzeiten gestritten.“

Ziel der Reform war und ist freilich, Trennungswillige besser zu unterstützen, und hier sieht Täubel-Weinreich noch erheblichen Verbesserungsbedarf: Es gibt einfach noch zu wenig geeignete Kräfte in der Familiengerichtshilfe. Diese soll auf richterliche Anordnung die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung ausloten, Erhebungen durchführen und fachlich zur Sache Stellung nehmen. Zwar ist sie nach dem anfänglichen Modellversuch an Standorten von ein paar Bezirksgerichten auf ganz Österreich ausgeweitet worden. Der Vollbetrieb läuft aber erst nach und nach an. Es gibt auch noch nicht genug „Besuchsmittler“. Diese sollen Gericht und Eltern aktiv bei der Abwicklung der Besuchskontakte unterstützen, was von Täubel-Weinreich als sehr hilfreich eingeschätzt wird.

Als grundsätzlich sinnvoll, in der Praxis jedoch problematisch schätzt die Richterin die Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung ein, die Richter zur Sicherung des Kindeswohls Eltern vorschreiben können. Denn das kostet bald einmal einige hundert Euro – mit einer einzigen Sitzung ist es nicht getan, eher ist an sechs bis zehn Einheiten zu denken. „Wenn das nur für gut situierte Eltern infrage kommt, bei anderen aber, die es brauchten, nicht möglich ist, ist das seltsam“, sagt Täubel-Weinreich. „Es geht ja um das Kindeswohl.“ Sie findet, es müsste mehr Einrichtungen geben, die diese Beratungen bei Bedarf kostenlos bieten.

Der von den Familienrichtern befürchtete Ansturm von Vätern, die sich angesichts der neuen Rechtslage um Mitobsorge bemühen, ist bisher indessen ausgeblieben. Täubel-Weinreich führt das auf einen „gewissen Realitätssinn der Väter“ (meist sind ja die Mütter mit der alleinigen Obsorge betraut) zurück: Auskünfte über die Situation ihrer Kinder in der Schule oder ärztliche Behandlungen, die Kinder zufällig am Wochenende mit Besuchskontakt brauchen, seien in der Praxis ohnehin auch ohne gerichtlich bestätigte Obsorge zu bekommen. Wozu also darum kämpfen?

Angst, „sekkiert“ zu werden

Nicht alle Frauen vertrauen auf diesen Realitätssinn. Anwalt Marschall registriert nun plötzlich Anfragen lediger Mütter, die sich vom Vater getrennt haben. Steht es dafür, die Vaterschaft feststellen zu lassen, auf die Gefahr hin, am Ende per gemeinsamer Obsorge „sekkiert“ zu werden? Für Marschall hängt die Antwort primär davon ab, ob der Mann Geld hat, um für das Kind zu sorgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2013)

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