Türkei bekommt in Wien geborenes Kind nicht

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Die Türkei forderte, dass ein in Österreich geborener Bub an ihre Behörden übergeben wird. Das Kind ist in Wien bei Pflegeeltern untergebracht. Der Oberste Gerichtshof lehnte die Übersiedlung ab - zum Schutz des Kindes.

Wien. Ein Sorgerechtsstreit zwischen Eltern kommt öfter vor. Dass aber ein anderes Land fordert, dass die österreichische Jugendwohlfahrt ein Kind den ausländischen Behörden übergibt, ist dann doch ungewöhnlich. Einen solchen Fall musste nun der Oberste Gerichtshof (OGH) rund um einen in Wien geborenen Buben mit türkischer Staatsangehörigkeit klären.

Von Anfang an schien den Behörden klar, dass die Eltern des Buben nicht geeignet sind, dem Kind die nötige Betreuung zu gewährleisten. Das zu Silvester 2008 in Wien geborene Baby wurde schon nach wenigen Tagen von der Jugendwohlfahrt an eine Krisenpflegemutter übergeben. Verwandte, die das Kind versorgen könnten, wurden in Österreich nicht gefunden. Das Kind landete schließlich bei Pflegeeltern.

Die Eltern scheiterten anschließend mit ihrem Versuch, die Obsorge zurückzubekommen, vor Gericht. Nun schritt die Türkei ein. Ihre Behörden ersuchten um die „Auslieferung“ des Kindes. Dort solle es in einem Kinderheim in Ankara untergebracht werden. In weiterer Folge beantragten nun die Eltern, dass die Obsorge des kleinen Buben „an den Jugendwohlfahrtsträger der Republik Türkei“ übertragen wird. Inzwischen war das Kind schon knapp drei Jahre alt. Das Erstgericht wies dieses Ansinnen ab. Eine Übersiedelung in die Türkei würde das Kindeswohl massiv gefährden. Der Bub war noch nie in der Türkei und hatte auch noch nie Kontakt zu seinen dortigen Verwandten. Zudem, so das Gericht, gebe es gar keine gesetzliche Grundlage, laut der man ein Kind der Jugendfürsorge eines anderen Lands übergeben könne. Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen bestätigte diese Entscheidung.

Gefahr einer Traumatisierung

Schlussendlich lag es am Obersten Gerichtshof, den Fall zu klären. Er blickte auf eine Ausnahmeklausel im Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA). Ihr zufolge muss das Abkommen nicht beachtet werden, wenn ihre „Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist“. Diese Ausnahmeklausel würde greifen, wenn es um das Kindeswohl geht, erklärte der OGH (6 Ob 138/13g).

Auch wenn das Kind türkischer Staatsbürger ist, werde es daher nicht der Türkei übergeben. Denn würde man das Sorgerecht an türkische Behörden übertragen, „besteht die reale Gefahr einer Traumatisierung“ für den Buben, so der OGH. Schließlich lebe er seit mittlerweile vier Jahren in Österreich und weise keinerlei Bindungen zur Türkei auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2013)

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