Genugtuung für eine „Prostituierte“, die gar keine war

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Medienrecht. OGH bemängelt Urteile, wonach die – falsche – Bezeichnung als Prostituierte nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich betreffe.

Wien. Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Foto in der Zeitung erschiene und Sie dabei als „Callgirl“ oder „Prostituierte“ bezeichnet würden? Oder Ihre Frau? Ihre Tochter? Wäre es Ihnen unangenehm? Oder würden Sie sich denken, Prostitution ist ein Beruf wie jeder andere? Ist es einerlei, ob da jetzt „Prostituierte“ oder „Ärztin“ oder „Handelsangestellte“ steht?

Frau R. kam aus dem Urlaub zurück, als sie aus der Zeitung erfuhr, dass sie eine ermordete Prostituierte sei. Frau R. ist Studentin in Bratislava und trägt zufälligerweise denselben Namen wie eine im Sommer 2010 in Wien ermordete Frau. Letztere war angeblich Prostituierte. Frau R. hatte auch ein Facebook-Konto. Darauf war ihr Foto abgebildet. Dieses nahmen findige Journalisten und veröffentlichten es als Bild der Ermordeten. Das Porträt erschien in mehreren österreichischen Zeitungen und wurde auch von slowakischen Medien übernommen.

Peinliche Verwechslung

Frau R. wurde von Freunden und Familie auf diese Neuigkeiten angesprochen. Die Tatsache, dass in Zeitungen stand, sie sei Prostituierte, war ihr äußerst unangenehm. Frau R. ersuchte daher die Tageszeitungen „Heute“, „Österreich“ und „Krone“, die Veröffentlichungen einzustellen, und forderte Entschädigung für die erlittene Kränkung vom jeweiligen Medieninhaber. Sie stützte ihren Anspruch auf zwei Tatbestände des Mediengesetzes: auf üble Nachrede und auf Bloßstellung ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs (Privat- und Familienleben, worunter auch das Sexualleben fällt). Lediglich im Verfahren gegen „Österreich“ gab die Richterin des Landesgerichts Wien der Antragstellerin recht; in den anderen Verfahren sprachen die jeweils zuständigen Richter der Antragstellerin zwar ebenfalls Entschädigungen zu, jedoch nur wegen übler Nachrede.

„Gesellschaftlich anerkannt“

In den drei Berufungsverfahren entschied das Oberlandesgericht Wien (durch zwei verschiedene Senate), dass die Angabe des Berufs nicht unter den höchstpersönlichen Lebensbereich eines Menschen falle, auch wenn sie das Sexualleben tangiert. Frau R. stehe daher keine Entschädigung aufgrund Bloßstellung ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs zu. Begründet wurde dies damit, „dass Prostitution durch landesgesetzliches Regelwerk mit Registrierung, Kontrolluntersuchungen, steuerrechtlicher Erfassung und Pflichtversicherung gesellschaftlich anerkannt als Beruf institutionalisiert worden ist“.

Dabei berücksichtigte das OLG Wien weder den Umstand, dass Frau R. nie Prostituierte war und es sich somit nicht um die Angabe ihres Berufs handelte, noch, dass es sich bei Prostitution um einen Beruf handelt, bei dem das Sexualleben nicht bloß tangiert, sondern berufsimmanent ist, und somit sehr wohl den höchstpersönlichen Lebensbereich betrifft.

Laut Brockhaus dürfte sich die Prostitution aus rituellen Bräuchen entwickelt haben. Ehefrau und Tochter hatten als Eigentum des Mannes seine Gäste zu beglücken, wofür diese sich mit einem Geschenk erkenntlich zeigten. Die gewerbsmäßige Prostitution begann im antiken Griechenland, wo Sklavinnen für Entgelt Männer unterhielten. Auch im Alten Rom waren es vorwiegend Sklavinnen, die als Prostituierte arbeiteten. Prostitution zu institutionalisieren, wie dies etwa in Österreich und Deutschland versucht wird, ist keine Idee der Neuzeit.
Schon im Mittelalter gab es diese Bestrebungen. Von den Gewinnen der damaligen Frauenhäuser profitierte einst übrigens auch die Kirche. Dennoch: Prostitution blieb zu jeder Zeit unehrenhaft und der armen Schicht vorbehalten. Junge Frauen, die von der schönen neuen Welt träumen, oder verzweifelte Seelen wie Fantine aus Victor Hugos „Les Misérables“, die als letzten Ausweg – nachdem sie bereits ihre Haare und Zähne verkauft hat – ihren Körper verpachtet.

Nur üble Nachrede bejaht

Die zweitinstanzlichen Entscheidungen waren nicht konsequent. Einerseits vertrat das OLG Wien die Auffassung, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere, gesellschaftlich anerkannt und institutionalisiert.
Andererseits ging es aber (zur Frage der üblen Nachrede) sehr wohl davon aus, dass es sich bei Prostitution um das Anbieten von Sexualdiensten gegen Geld handelt (und somit das Sexualleben nicht bloß tangiert, sondern immanent ist), was „der herrschenden Vorstellung vom moralisch Richtigen in einem Maße zuwiderläuft und dem Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden widerspricht, sodass die soziale Wertschätzung des Betroffenen darunter zu leiden hat, was sich auch daran zeigt, dass Prostitution quasi ,am Rande‘ der Gesellschaft und oft unter dem Deckmantel des Verborgenen ausgeübt wird.“

Für die Antragstellerin war der ordentliche Rechtsweg damit zu Ende, die Generalprokuratur brachte eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beim Obersten Gerichtshof ein. Dieser erkannte (vorerst nur mündlich) in der Verhandlung vom 13. November, dass Prostitution kein Beruf wie jeder andere ist: Prostitution betreffe auch das Sexualleben und somit den höchstpersönlichen Lebensbereich und unterscheide sich dadurch von anderen Berufen (15 Os11/13a). Für Frau R. ändert diese Entscheidung nichts mehr, weil sich die Nichtigkeitsbeschwerde nicht zum Nachteil der Antragsgegner auswirken kann. Die Klarstellung war aber dennoch wichtig, um mit einer inkonsequenten Rechtsprechung aufzuräumen.

Dr. Birgit Kraml ist Rechtsanwältin bei Wolf Theiss Rechtsanwälte in Wien (am Verfahren beteiligt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2013)

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