Wer Angst hat, darf Umwege fahren

(c) FABRY Clemens
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Mann sollte Versehrtenrente verwehrt werden, weil ihn seine Frau nicht auf schnellstem Weg nach Hause führte. Dafür habe es aber gute Gründe gegeben, befand der OGH.

Wien. Steht ein Unfall mit der Arbeit in Zusammenhang? Davon hängt es ab, ob jemand Anspruch auf die Leistungen der Unfallversicherung (etwa eine Versehrtenrente) hat. Versichert ist man auch auf dem Weg zur Arbeit und von dort nach Hause. Doch gerade die Frage, was zum Arbeitsweg gehört, sorgt immer wieder für Prozesse. So auch in einem aktuellen Fall.

Ein Mann war in die Arbeit geradelt. Vor Arbeitsschluss rief ihn aber seine Frau an und schlug vor, das Rad stehen zu lassen. Sie werde ihn gemeinsam mit der Tochter abholen. Man wollte aber nicht sofort nach Hause fahren, sondern erst zur Bank, um Geld für einen bevorstehenden Möbelkauf abzuheben. Auf dem Weg dorthin geschah jedoch der Unfall, bei dem der Mann verletzt wurde.

Nun weist das ASVG (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) einige Kuriositäten auf: So ist man auch auf dem Weg zur Bank, um Geld abzuheben, geschützt. Aber nur beim ersten Mal im Monat. Die Regelung wurde eingeführt, als die Arbeitgeber aufhörten, die Gehälter bar am Arbeitsplatz auszuzahlen. Der Gesetzgeber ging aber davon aus, dass man gleich beim ersten Bankbesuch seinen Monatsverdienst abhebt. Geschützt ist man übrigens auch dann nur auf dem Weg, nicht in der Filiale drinnen.

Schon zwei Unfälle erlebt

All diese Erwägungen nützten dem Mann aber nichts. Denn er war in dem Monat schon mal bei der Bank gewesen (das Unglück geschah an einem 25. März). Die Fahrt zur Filiale war also nicht versichert. Doch das Unglück geschah noch nicht in der Nähe der Bank. Es passierte auf einem Streckenabschnitt, den die Frau auch genommen hätte, wenn sie den Mann direkt nach Hause geführt hätte. Aber wiederum auch nur, weil die Frau immer einen Umweg nach Hause fuhr. Auf der direkten Strecke hatte sie nämlich schon zwei Unfälle erlitten.

Aber darf man deswegen eine längere Fahrt in Kauf nehmen? Nein, meinte die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt und verweigerte dem Mann die Zahlung einer Versehrtenrente. Das Landesgericht Wiener Neustadt gab der Versicherung recht. Das Oberlandesgericht Wien drehte das Urteil um. Es falle erstens dem Verletzten nicht zur Last, dass er zur Bank fahren wollte, weil sich der Unfall ja noch auf der Strecke ereignete, die die Frau auch in Richtung nach Hause eingeschlagen hätte. Und dass die Frau für die Fahrt nach Hause immer einen längeren Weg wähle, sei auch kein Problem, weil der kürzeste Weg nur „unter für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen benützt werden konnte“. Der Versicherungsschutz sei also grundsätzlich gegeben, die erste Instanz müsse nur noch die Verletzungen des Mannes prüfen. Der Oberste Gerichtshof (10 ObS 162/13s) bestätigte diese Rechtsansicht: Man dürfe kleinere Umwege einschlagen, etwa „um eine bessere Wegstrecke oder eine weniger verkehrsreiche oder eine schneller befahrbare Straße zu benutzen“.

Für Franz Marhold, Sozialrechtsexperte und WU-Professor, ist die Entscheidung logisch: „Wenn der Mann sich von der Frau abholen lässt, ist das nichts anderes, als wenn er in den Bus steigt“, sagt er zur „Presse“. Auch dass ein kleiner Umweg in Kauf genommen werden dürfe, erscheine im Lichte der bisherigen Judikatur folgerichtig.

In welche Richtung fällt man?

Marhold verweist auf weitere interessante Judikatur zum Thema Arbeitsweg: So kann man nach Arbeitsende in der Nähe des Büros noch zwei Stunden herumtrödeln, ehe man von der Arbeitsstätte nach Hause fährt. Bleibt man länger in der Nähe der Arbeit, etwa weil man mit Kollegen einen ausgiebigen Abend im Lokal verbringt, gibt es auf dem Heimweg keinen Schutz.

Beim Wohnhaus ist entscheidend, aus welcher Richtung man kommt: Fällt man auf dem Weg zur Arbeit aus dem Haus kommend durch eine Glastür auf die Straße, hat man keinen Versicherungsschutz. Fällt man am Rückweg von außen durch die Glastür ins Haus, ist man sehr wohl unfallversichert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2014)

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