Wildschwein verfehlt, Frau getroffen

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Der Schuss eines Jägers traf eine Forstarbeiterin. Ob direkt oder über Umwege, blieb unklar. Der Mann muss Schadenersatz leisten, weil er sich nicht über die Arbeiten erkundigt hatte.

Wien. Eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nimmt Jäger stärker in die Pflicht. Im Mittelpunkt des Prozesses stand die Frage, inwieweit ein Jäger Erkundigungen über andere im Wald befindliche Personen vornehmen muss, bevor er Schüsse abgibt.

Am Werk war ein eigentlich erfahrener Jäger, der aber im wahrsten Sinn über sein Ziel hinausschoss. Der Mann frönte jede Woche seinem Jagdtrieb, bereits mit 16 hatte er die dafür nötige Prüfung abgelegt. Auch an einem Morgen im Jänner 2007 war der Mann in einem Jagdrevier in Bärndorf (Niederösterreich) auf der Pirsch. Gegen acht Uhr kam er auf eine Lichtung. Der Mann bewegte sich möglichst leise, ging Schritt für Schritt vorwärts und suchte die Gegend mit einem Feldstecher, der für eine zehnfache Vergrößerung sorgte, nach Wild ab. Und siehe da: Er erblickte mehrere Wildschweine. Der Mann zielte auf ein Tier, das fast still stand, verfehlte es aber. Stattdessen traf das Projektil eine Forstarbeiterin. Diese konnte der Mann von seinem Standpunkt aus nicht sehen. Die Frau wurde schwer verletzt. Doch warum sie das Projektil traf, blieb unklar. Möglicherweise kam das Projektil erst über Umwege zu ihr, etwa indem es zunächst den Boden und erst dann die Forstarbeiterin traf. So genau konnte das nicht mehr festgestellt werden.

Das Unglück der Frau wurde als Arbeitsunfall anerkannt. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) forderte ihre Ausgaben aber vom Jäger zurück. Er wurde auf rund 97.000 Euro geklagt. Der Mann, dessen Strafverfahren mit einer Diversion geendet hatte, wehrte sich aber gegen die Forderungen der AUVA. Er habe sich „jagdgerecht“ verhalten, so wie ein sorgfältiger Jäger es tun würde. Das Wildschwein sei, als er schoss, frei gestanden, und es habe sich in der Flugbahn sonst niemand gefunden, der hätte gefährdet werden können. Auch ein „ausreichender Kugelfang“ in Form eines Erdwalls sei vorhanden gewesen. Dass die Arbeiterin getroffen wurde, müsse man auf eine „ganz außergewöhnliche Verkettung von Umständen zurückführen“. Das Geschoss habe einen atypischen Verlauf genommen, der in der Jagdpraxis noch nie aufgetreten sei. Zudem hätte die Forstverwaltung, mit der er durch die Jagdkarte einen Vertrag habe, Sperrmaßnahmen durchführen müssen. Man könne von einem Jäger nicht verlangen, vor einem „Morgenpirschgang“ persönlich nachzuschauen, ob andere Leute den Wald nutzen. Das würde nämlich die Jagd im Vorhinein vereiteln.

Bei der ersten Vernehmung gab der Mann an, nichts von Forstarbeiten im Wald gewusst zu haben. Später musste er eingestehen, 15 Minuten vor dem Unglück einen Anruf von einem anderen Jäger erhalten zu haben. Dieser warnte, dass er ein Fahrzeug gesehen und Geräusche gehört habe, bei denen es sich um Forstarbeiter handeln könnte.

Nicht ausreichend vergewissert

Das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen erklärte, dass der Jäger hafte. Er habe gegen § 96 des NÖ Jagdgesetzes verstoßen, das jede Tätigkeit verbiete, die Menschen auch nur abstrakt gefährden könne. Der Mann habe es trotz konkreter Hinweise auf Forstarbeiten unterlassen, sich zu vergewissern, wo diese genau im Wald stattfanden. Er hätte etwa das Revier weiter abgehen sollen, um Nachschau zu halten, meinte das Gericht. Jedenfalls wäre es unzumutbar gewesen, bei der Forstverwaltung anzurufen und zu fragen, wo die Arbeiter im Einsatz sind. Das Jagdrevier hingegen sei laut dem Vertrag zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet gewesen, bei Forstarbeiten ein Betretungsverbot zu verhängen. Das Oberlandesgericht Wien und der Oberste Gerichtshof (10 Ob 55/13f) bestätigten das Urteil. Der Mann habe das Jagdgesetz, das eine zivilrechtliche Schutzvorschrift darstelle, übertreten und müsse daher Schadenersatz leisten.

AUF EINEN BLICK

Ein Jäger, der eine Frau mit einem Geschoss traf, haftet, auch wenn er die Frau nicht gesehen hat und das Projektil möglicherweise erst über Umwege das Opfer traf. Der Jäger, der von einem Kollegen vor möglichen Forstarbeitern telefonisch gewarnt wurde, hatte sich nicht bei der Forstverwaltung über Details erkundigt. Der Mann habe § 96 des niederösterreichischen Jagdgesetzes gebrochen, erklärten die Gerichte. Der dortige Absatz 1 lautet: „An Orten, an denen die Jagd die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stören oder das Leben von Menschen gefährden würde, darf nicht gejagt werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2014)

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