Gesetzgebungsakte als Schock für Dissertanten

Die neue Bibliothek an der Uni Innsbruck
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Ein paar korrigierende Worte des Gesetzgebers können jeden Theorienstreit beenden. Forscher können aber hoffen, dass ihre Werke trotz geänderter Rechtslage relevant bleiben.

„Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zur Makulatur“. Dieses auf Julius von Kirchmann zurückgehende Zitat ist zu einem geflügelten Wort geworden, das auch unter Nicht-Juristen bekannt ist. Für einen jungen Studenten der Rechtswissenschaften ist es deprimierend. Weshalb soll er sich monatelang für eine Diplomarbeit oder gar jahrelang für eine Doktorarbeit abmühen, wenn die Arbeit ohnehin früher oder später zur Makulatur wird?

Wie so viele überspitzte Thesen haben auch die Worte Kirchmanns einen wahren Kern. Eine kleine Gesetzesnovelle reicht aus, damit ein langjähriger Theorienstreit abrupt endet. So manchen Dissertanten hat eine überraschende Gesetzesänderung schon zur Verzweiflung getrieben, wenn er seine Arbeit auf die alte Rechtslage ausgerichtet hat. Im Vorwort dieser Arbeiten findet man dann meist einen verschämten Hinweis, dass auch die alte Rechtslage aus diesen und jenen Gründen noch relevant sei und die Arbeit daher mehr sei als bloße Makulatur.

Privatrecht sehr konstant

Sieht man von diesen Fällen ab, halte ich die Ansicht von Kirchmann für nicht ganz zutreffend. Vor allem im Privatrecht zeichnen sich viele Regelungen durch ein hohes Maß an Konstanz aus. Das bedeutet nicht, dass das Privatrecht vollkommen stillsteht. Ganz im Gegenteil. Es entwickelt sich immerzu fort und das heutige Privatrecht weist wesentliche Unterschiede zum Privatrecht vor 200 Jahren auf. Diese Unterschiede sind jedoch regelmäßig auf eine Weiterentwicklung des bisher geltenden Rechts zurückzuführen und stellen keinen Bruch gegenüber dem alten Recht dar. Die „drei berichtigenden Worte des Gesetzgebers“ sind oft nur konkretisierend und stellen die alte Rechtslage nicht völlig auf den Kopf. Selbst dort, wo neue Kodifikationen in Kraft treten, greift der Gesetzgeber auf Erfahrungen aus dem bisher geltenden Recht zurück oder orientiert sich rechtsvergleichend an den Erfahrungen anderer Rechtsordnungen. Das trifft zum Beispiel auf das am 1. Jänner 2014 in Kraft getretene tschechische Bürgerliche Gesetzbuch zu, das zwar deutliche Änderungen gegenüber dem alten Recht aufweist, aber nichts gänzlich Neues erfindet, sondern sich an anderen Rechtsordnungen wie dem deutschen BGB orientiert.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Die Rechtswissenschaften sind Teil der Entwicklung der Rechtsordnung. Sie begleiten die Änderungen und lösen diese manchmal erst aus. Das gilt auch für das erwähnte Beispiel einer Gesetzesnovelle, die einen Theorienstreit entscheidet. Nimmt der Gesetzgeber den Meinungsstreit zur Kenntnis und sorgt mit „drei berichtigenden Worten“ für Klarheit, waren dann wirklich alle Schriften im Rahmen des Theorienstreits umsonst? Nein, mitunter haben diese Schriften erst den Weg für die Novelle geebnet und dienten damit einem durchaus wertvollen Zweck, auch wenn sie nach der Novelle meist nur noch wenig Beachtung finden. Zuzugeben ist, dass dem bemitleidenswerten Dissertanten damit nicht geholfen ist, wenn er seine Dissertation nicht so rechtzeitig publiziert, dass sie noch Einfluss auf einen Meinungsstreit nehmen kann. Hier gilt leider: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Beitrag zur Rechtsordnung

Was können wir also festhalten? (1) Die Rechtswissenschaften begleiten die Rechtsentwicklung und leisten auf diesem Weg einen wichtigen Beitrag für die Rechtsordnung. (2) Sie helfen, den Rechtsstoff systematisch zu ordnen und weisen auf Wertungswidersprüche hin. (3) Ihre Rolle erschöpft sich nicht darin, lediglich die Entscheidungen der Gerichte zu kommentieren, sondern sie bieten auch der Rechtsprechung eine Orientierungshilfe. Das zeigt sich in vielen Entscheidungen, in denen der OGH sehr ausführlich auf das Schrifttum eingeht (jüngst zB 6 Ob 28/13f).

Viele Gebiete unerforscht

Und die Arbeit wird der Rechtswissenschaft nicht ausgehen. Zum einen sind zahlreiche Gebiete noch vergleichsweise wenig erforscht, zum anderen sorgt die EU mit immer neuen – zum Teil guten, zum Teil auch etwas unausgegorenen – Richtlinien und EuGH-Entscheidungen dafür, dass dem Rechtswissenschafter so schnell nicht langweilig wird. Und die große Aufgabe unserer Zeit, nämlich ein europäisches Zivilgesetzbuch, befindet sich erst im Anfangsstadium und wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen.
Als junger Rechtswissenschafter könnte man sich fragen, warum einen all das interessieren sollte. Die großen Sprünge in der Rechtswissenschaft machen in aller Regel nicht junge Dissertanten oder Diplomanden, sondern ausgewiesene Professoren. Ich glaube allerdings, dass alle Rechtswissenschafter aufgerufen sind, einen – wenn auch kleinen  – Beitrag zur Fortentwicklung des Rechts zu leisten. Setzt sich jemand zwei Jahre lang intensiv mit einem Thema auseinander, dann hat er der Fachwelt in aller Regel auch etwas zu sagen.

Erst dreimal entlehnt, einmal vom Autor selbst

Einzuräumen ist natürlich, dass etablierte Wissenschaftler ihre Erkenntnisse leichter veröffentlichen können und auf ein größeres Echo stoßen werden als ein junger Doktorand. Wenn wir ehrlich sind, wird eine Diplomarbeit oder Dissertation kaum gelesen, sofern sie lediglich in einem entlegenen Regal in der Hauptbibliothek einstaubt. Beispielsweise wurde meine Diplomarbeit bisher lediglich dreimal ausgeliehen und ich muss gestehen, dass eine dieser Ausleihen auf mein eigenes Konto geht, weil ich mein Privatexemplar verlegt hatte und kurz etwas nachschlagen wollte. Das macht im Ergebnis zwei Ausleihen in drei Jahren. Bei anderen Diplomarbeiten und Dissertationen wird das Bild ähnlich trostlos sein.
An den zum Teil fehlenden Publikationsplattformen würde ich nicht verzweifeln, denn auch für junge Rechtswissenschafter gibt es - zumindest im Privatrecht - genügend Möglichkeiten, eigene Ideen an den Mann zu bringen (zB manzwissenschaft.at). Es muss nicht immer eine Monographie sein. Ein Aufsatz in einer Fachzeitschrift, in dem die wesentlichen Thesen zusammengefasst sind, kann unter Umständen viel mehr Leser finden und auf ein größeres Echo stoßen als ein viel zu langes Buch (Tipp: spektrum-der-rechtswissenschaft.at). Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Diplomarbeiten und Dissertationen können viel mehr sein als bloße Makulatur, die nur dazu dienen, den begehrten Titel zu erhalten. Junge Wissenschafter müssen sich nur trauen, neue Erkenntnisse auch zu kommunizieren.

Literaturtipps

Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1848)

Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft (1966)

Zur Person

MMag. Dr. Mathias Walch (24) ist als Universitätsassistent am Institut für Unternehmens- und Steuerrecht der Universität Innsbruck tätig. Sein Text basiert auf einem Vortrag, den er im Rahmen einer akademischen Feier anlässlich seiner Promotion an der Innsbrucker Rechtswissenschaftlichen Fakultät gehalten hat.

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