Über Sanktionen gegen Russland wird weiter diskutiert. Doch bei Wirtschaftstreibenden hier wie dort regiert längst die Vorsicht. Nur Russlands Konsumenten sind in Kauflaune.
Wien. Wie sehr die Einigung mit Russland bei den Vierergesprächen am Donnerstag in Genf, die Separatisten in der Ostukraine zu entwaffnen, auch als Sensation gefeiert wird: Das über Wochen gewachsene Misstrauen zwischen Russland und dem Westen ist damit noch nicht beseitigt. Folglich bleiben auch die Sanktionen gegen Russland und deren mögliche Ausweitung für den Fall, dass Moskau in der Ostukraine doch noch interveniert, ein Thema. Bis Dienstag – so die „Financial Times“ – müssen die EU-Staaten an die Kommission eine Hochrechnung schicken, aus der hervorgeht, welche Folgen eine Verschärfung der Sanktionen und anzunehmende Vergeltungsmaßnahmen seitens Russlands hätten. „Wir haben die Anfrage von der EU diese Woche erhalten und arbeiten an diesem Bericht“, wird offiziell auf Anfrage im österreichischen Außenministerium bestätigt.
Nach der Annexion der Krim durch Russland hatte die EU einen Plan für drei Sanktionsstufen ausgearbeitet, von denen die ersten beiden – Aussetzung der Verhandlungen über ein neues Grundsatzabkommen und über die Liberalisierung der Visumspflicht sowie individuelle Sanktionen gegen einzelne Regimevertreter – umgesetzt wurden.
Vorbereitungen für alle Fälle
Brisant wäre der dritte Schritt, nämlich explizit wirtschaftliche Sanktionen, an deren planmäßiger Vorbereitung für alle Fälle sich nichts geändert habe, wie aus diplomatischen Kreisen zu erfahren ist. Als Sektoren stehen Waffen, Öl, Gas bzw. Banken und Versicherungen im Fokus – dazu noch spezifische Waren wie Diamanten, von denen 27 Prozent der Weltproduktion aus Russland kommen und deren globaler Umschlagplatz Antwerpen ist, wo daher Sanktionen immens gefürchtet werden.
In Österreich fürchten sich vor allem die in Russland engagierten Banken davor, allen voran Raiffeisen International und Bank Austria, dass Aktiva beschlagnahmt oder der Zahlungsverkehr eingeschränkt werden könnten.
Auch die USA bleiben Moskau gegenüber skeptisch, weshalb das Finanzministerium laut Agentur Bloomberg vorige Woche Investmentfirmen von der Vorbereitung weiterer Sanktionen unterrichtet und vor Risken gewarnt hat.
Zurückhaltung für alle Fälle
Die Vorsicht in der Wirtschaft geht ohnehin längst um und gewinnt dort wie da sogar Oberhand. So hat Russlands größter Petrochemiekonzern Sibur plötzlich Probleme, einen syndizierten Kredit bis zu einer Mrd. Dollar aufzustellen, nachdem die schottische RBS und die US-Bank Bof-AML einen Sicherheitsaufschlag verlangten. Der westliche Kapitalmarkt hält sich überhaupt zurück wie zuletzt im Krisenjahr 2009. So wurden laut Finanzinformationsservice Dealogic heuer um 74 Prozent weniger russische Unternehmensanleihen ausgegeben als im Vergleichszeitraum 2013. Das Finanzministerium musste acht Auktionen für Staatsanleihen absagen. Von den geplanten Börsengängen fand nur ein einziger statt.
Die russischen Banken haben indes allein im März 21 Mrd. Dollar von ihren Konten bei ausländischen Banken abgezogen, schreiben die Analysten der Raiffeisenbank. Teils wurde das Geld bei der russischen Zentralbank gelagert, teils wird es gebraucht, um die Nachfrage nach Devisen seitens der Bevölkerung zu bedienen.
Konsum für alle Fälle
Die Bevölkerung reagiert auf ihre Weise auf die Unsicherheit, die Russland erfasst hat. Und zwar nicht erst und nicht allein aufgrund der Ukraine-Krise, sondern schon seit Beginn der beschleunigten Rubelabwertung in diesem Jahr. Wie das Statistische Zentralamt zeigt, ist der Konsum im März um vier Prozent gestiegen, nachdem er schon im Februar um 3,9 Prozent zugenommen hatte. Dies vor dem Hintergrund, dass im ersten Quartal ein Wirtschafts- und Investitionsabschwung vor sich gegangen ist. Und dies auch vor dem Hintergrund, dass – außer bei den finanziell derzeit umgarnten Staatsangestellten – die real verfügbaren Einkommen im März um 6,8 Prozent zurückgegangen sind, wie die Zeitung „Wedomosti“ darlegt. Heißt: Die Leute brauchen wegen der unsicheren Situation und der Angst vor Abwertung und Inflation ihr Erspartes auf – und zwar für teure Anschaffungen auf Reserve.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)