Wenn Höchstrichter über Höchstrichter richten

Photo: Michaela Bruckberger
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Dem OGH wird die Unterlassung eines Vorlageverfahren vorgeworfen. Der VfGH wird entscheiden.

WIEN(hes). Dieser Tage hat der Verfassungsgerichtshof über die Arbeit der Kollegen beim Obersten Gerichtshof zu befinden. Grund dafür ist eine Staatshaftungsklage, die ein Autohändler gegen den OGH angestrengt hat. Der Vorwurf: Das Höchstgericht habe es trotz seiner gesetzlichen Verpflichtung versäumt, eine ungeklärte Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, wie Rechtsanwalt Friedrich Knöbl bei der mündlichen Verhandlung des VfGH am Montag erläuterte.

Anlassfall war ein Rechtsstreit zwischen einem Autohändler und dem Hersteller. Letzterer nahm eine neue EU-Gruppenfreistellungsverordnung zum Anlass, die bestehenden Verträge zu kündigen. Und dies geschah seitens des beklagten Kfz-Herstellers mit einer einjährigen Kündigungsfrist, wobei die Kündigungsfrist in der Regel zwei Jahre betragen sollte, sofern keine Umstrukturierung vorliege.

Im Leitfaden zur neuen Gruppenfreistellungsverordnung hielt die Generaldirektion für Wettbewerb der Europäischen Kommission, die die Verordnung auch erlassen hatte, fest, dass die erforderliche Anpassung an die neue Rechtslage für sich genommen noch kein Grund für eine Umstrukturierung sei (die ihrerseits eine einjährige Kündigungsfrist rechtfertigen würde).

Dieser Leitfaden, der in seiner Bedeutung mit erläuternden Bemerkungen nationaler Gesetze vergleichbar ist, ist rechtlich allerdings nicht bindend. Das heißt, dass die Auslegung, wie die Verordnung nun zu verstehen sei, dem Europäischen Gerichtshof obliege, wie Knöbl kritisierte.

Während die ersten beiden Instanzen in Österreich nicht verpflichtet sind, die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung dem EuGH vorzulegen, muss der Oberste Gerichtshof als Höchstgericht das aber tun. Der OGH sah seinerseits keinen Klärungsbedarf und verzichtete auf ein Vorlageverfahren, weshalb der Autohändler jetzt im Wege einer Staatshaftungsklage den OGH für ein rechtswidriges Verhalten zur Verantwortung ziehen möchte.

Eberhard Schrutka-Rechtenstamm, Vertreter der Finanzprokuratur und damit des Bundes, ersuchte um Abweisung der Klage durch den Verfassungsgerichtshof, gleich aus drei Gründen. Zum einen habe keine offene Frage für ein Vorabentscheidungsverfahren bestanden. Der Autohersteller habe sehr wohl eine notwendige Umstrukturierung vorgenommen, weil sonst Vertragsteile mit Nichtigkeit bedroht gewesen wären. Zum Zweiten hätte es auch kein günstigeres Ergebnis für den Kläger bewirkt, wenn der OGH dem EuGH vorgelegt hätte, weil im Leitfaden auch nichts anderes stehe, als der OGH ausgesprochen habe. Und zum Dritten habe der Kläger keine Legitimation zu klagen, weil ihm noch das Mittel einer Leistungsklage gegen den Autohersteller zur Verfügung gestanden wäre.

Bisher musste der Verfassungsgerichtshof erst einmal über ein behauptetes Fehlverhalten des OGH befinden: Damals (2004) wurde in einer Mietrechtssache ebenfalls die Verletzung der Vorlagepflicht behauptet. Die Klage wurde abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshofs hingegen wurde bereits einmal vom VfGH verurteilt, weil er die Dienstleistungsrichtlinie nicht beachtet hatte.

AUF EINEN BLICK

Die Rechtsfrage, die der Verfassungsgerichtshof derzeit prüft, besteht darin, ob es im Verfahren eine Unklarheit gegeben hat, die der OGH dem EuGH hätte vorlegen müssen. Und, ob er gegebenenfalls für ein Versäumnis verantwortlich gemacht werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2008)

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