Millionenprozess um ein Bohrloch

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Ein Tischlergeselle, der ein Regal montieren sollte, bohrte eine Wasserleitung an. Er und sein Arbeitgeber haften für die Schäden, die zwei darauffolgende Explosionen verursachten.

Wien. Niemand konnte ahnen, welch dramatische Folgen das Missgeschick eines Tischlergesellen am Nachmittag des 24. Oktober 2007 in der Tivoligasse in Wien-Meidling nach sich ziehen sollte. Der Mann war in eine Wohnung im ersten Stock eines Mehrparteienhauses gekommen, um ein Regal zu montieren. Als er in die Wand bohrte, erwischte er eine kupferne Wasserleitung, das Wasser spritzte heraus. Ein Lehrling hielt das Loch zu, während der Geselle versuchte, die Wasserzufuhr zu stoppen.

Der erfahrene Handwerker drehte an etlichen Wasserhähnen inner- und außerhalb der Wohnung, lief das Stiegenhaus hinauf und hinunter, bis er endlich im Keller den Haupthahn fand. Das alles wäre nicht so schlimm gewesen, hätte er nicht zwischendurch versehentlich auch ein Gasventil betätigt: Durch die geöffnete Leitung strömte Gas in die leer stehende Nachbarwohnung; von dort diffundierte es über die Decke in eine Wohnung im zweiten Stock. Als es Abend geworden war, genügte ein Funke aus einem Elektrogerät, um das Methangas-Luft-Gemisch zu entzünden; der Explosion im zweiten Stock folgte ein Wohnungsbrand samt Funkenregen, der auch das Gas in der leeren Wohnung darunter explodieren ließ. Schwerer verletzt wurde niemand – nur zwei Hausbewohner erlitten eine Rauchgasvergiftung. Am Morgen danach, als das Feuer gelöscht und das Haus evakuiert war, sprach ein Kriminalpolizist von einer „Ruine“.

Versicherung will 1,12 Mio.

Während ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst offenbar eingestellt wurde, stand die zivilrechtliche Auseinandersetzung um den Schadenersatz noch bevor: Die Versicherung der Eigentümergemeinschaft des Hauses zahlte insgesamt 1,12 Millionen Euro, wollte auf dem Schaden aber nicht sitzen bleiben. Wie der Oberste Gerichtshof (OGH) nun in letzter Instanz entschied, müssen der Tischlergeselle und sein Betrieb, am Ende aber wohl dessen Haftpflichtversicherung, zahlen. Bloß die genaue Höhe der Ersatzpflicht steht noch nicht fest, weil diese sich am tatsächlichen Schaden und nicht daran bemisst, wie viel die Versicherung zunächst gezahlt hat.

Die erste Instanz hatte es sich noch ganz leicht gemacht: Sie wies die Klage rundweg ab, weil „total außergewöhnliche“ Umstände zum Schaden geführt hätten, dieser also nicht – wie Juristen sagen – „adäquat verursacht“ worden wäre. Schon das Berufungsgericht korrigierte, dass von einer Inadäquanz nicht die Rede sein könne.

Der OGH bestätigte, dass der Geselle haftet. Schon das Anbohren der Wasserleitung war rechtswidrig und schuldhaft; zumindest leichte Fahrlässigkeit muss der Handwerker sich aber auch vorwerfen lassen, weil er am Gasventil manipuliert hat. Diese Ventile sind nicht ohne Werkzeug – normalerweise einem Vierkantschlüssel, der Handwerker benützte eine Rohrzange – zu bedienen. Teuflischerweise öffnen sie übrigens umgekehrt wie Wasserhähne, also so, wie der Geselle das Wasser abdrehen wollte. Auch wenn noch andere Umstände das Unglück begünstigten – unter anderem war die Gasleitung in die Nachbarwohnung dort nicht dicht verschlossen: Das Öffnen des Ventils hat den Schaden adäquat verursacht.

Nach dem 34 Seiten umfassenden Urteil des OGH (1 Ob 150/13k) ist auch die Tischlerei, die den Gesellen eingesetzt hatte, der Versicherung gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet. Das Unternehmen (bzw. seine Versicherung) muss ihr letztlich jenen Schaden ersetzen, der im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander dem Mitbewohner mit dem Wandregal zuzurechnen war.

Entlastung für Handwerker

Der Geselle kann indessen auf eine Entlastung durch das Dienstnehmerhaftpflichtgesetz hoffen: Demnach kann eine Ersatzpflicht für Schädigungen Dritter im Dienst je nach Verschulden mehr oder weniger dem Dienstgeber zugeordnet werden – bei leichter Fahrlässigkeit auch zur Gänze. [ iStockphoto ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2014)

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