Strafprozessreform: Unterstellung zum Nachteil des Angeklagten

(c) Clemens Fabry
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Das vom Justizministerium vorgeschlagene Mandatsverfahren dürfte der Menschenrechtskonvention widersprechen. Höchst bedenklich ist auch, die gerichtliche Prüfung auszuschalten, wenn Staatsanwälte untätig bleiben.

Innsbruck. Das Justizministerium will mit dem Entwurf zum Strafprozessänderungsgesetz 2014 unter anderem zwischen Verdächtigen und Beschuldigten unterscheiden. So will es vermeiden, dass die Medien angezeigte Personen als „Beschuldigte“ verunglimpfen. Ob man freilich eine angezeigte Person als Verdächtigen oder als Beschuldigten bezeichnet, macht keinen großen Unterschied. Auch die Beschuldigung drückt nur einen Verdacht aus. Wesentlich sind aber die Schlussfolgerungen über den Beginn des Verfahrens: Der Staatsanwalt hat von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen, wenn kein Anfangsverdacht besteht oder die Verfolgung des Angezeigten aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre. Gegen die Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens hat das Opfer kein Recht, bei Gericht die Fortführung zu verlangen. Dieses Recht hat es nur nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens.
Ein Beispiel: Der Bürgermeister einer Gemeinde lässt ein Bauansuchen über Monate liegen. Da auch die Bezirksverwaltungsbehörde keine Abhilfe schafft, weiß sich der Betroffene nicht anders zu helfen, als den Bürgermeister wegen Amtsmissbrauchs anzuzeigen. Für den Staatsanwalt ist das geschilderte Verhalten noch rechtlich vertretbar; das schlösse die Verfolgung aus rechtlichen Gründen aus. Oder der Staatsanwalt glaubt nicht an einen wissentlichen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder an einen nachweisbaren Schädigungsvorsatz; so verneint er einen Anfangsverdacht, weil noch kein hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt für ein Delikt vorliegt. Nach Anhaltspunkten, die einen Anfangsverdacht ergeben könnten, lässt der Staatsanwalt in der Meinung, es gäbe ohnehin keine, erst gar nicht suchen. So verständigt der Staatsanwalt den Anzeiger, dass von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen wird. Der Entwurf nimmt dem Opfer gerade in heiklen Fällen die Möglichkeit, die Entscheidung des Staatsanwalts durch ein Gericht überprüfen zu lassen. Der Antrag auf Fortführung wurde eingeführt, um eine gerichtliche Missbrauchskontrolle zu schaffen. Eben sie kann der Staatsanwalt künftig über eine Hintertür umgehen. Freilich kann das Opfer eine Aufsichtsbeschwerde an den Oberstaatsanwalt richten, aber es steht ganz in dessen Ermessen, wie er mit der Beschwerde verfährt.

Haftstrafe ohne Gerichtstermin

Sehr bedenklich ist auch dieser Vorschlag: Künftig kann der Richter (Bezirksrichter, Einzelrichter des Landesgerichts) eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ohne Hauptverhandlung verhängen (Mandatsverfahren). Es genügt, wenn der Staatsanwalt im Strafantrag den Erlass einer Strafverfügung verlangt und der Angeklagte zu den Vorwürfen vernommen worden ist.
Da der Strafantrag des Staatsanwalts regelmäßig nur zusammenfasst, was die Polizei im Abschlussbericht liefert, kann man davon ausgehen, dass schon die Polizei den Beschuldigten zu den anklagerelevanten Vorwürfen vernommen hat. So braucht der Richter den Angeklagten nicht mehr zu vernehmen. In der Hauptverhandlung dagegen müsste er das sehr wohl machen und dem Angeklagten ermöglichen, sich zu rechtfertigen und Fragen z. B. an Belastungszeugen zu stellen. Ein mündliches Beweisverfahren und die Anhörung durch den Richter sind wesentliche Garantien für die Richtigkeit des Urteils.
Eine Anhörung nur durch die Polizei kann man nicht als Anhörung „in billiger Weise“ durch ein unabhängiges, unparteiisches Gericht im Sinn der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art 6 Abs 1) bezeichnen. Zwar kann der Angeklagte gegen die Strafverfügung binnen zweier Wochen Einspruch erheben, dann wird die Strafverfügung gegenstandslos, eine Hauptverhandlung muss durchgeführt werden. Aber wenn sich der Angeklagte nicht rührt, da er z. B. keinen Verteidiger hat, ist er vorbestraft. Dass der Angeklagte mit allem – der Strafverfügung und dem Entfall der Hauptverhandlung – einverstanden ist, nur weil er keinen Einspruch erhoben hat, ist eine Unterstellung zu seinem Nachteil. Die EMRK schließt zwar nicht aus, dass der Angeklagte auf eine mündliche und öffentliche Verhandlung verzichtet, aber wirksam ist der Verzicht nur, wenn er ausdrücklich erklärt ist und ihm kein öffentliches Interesse entgegensteht.

Verhandlung geht Sparen vor


Dass Kriminalstrafen nur in mündlichen und öffentlichen Verhandlungen verhängt werden, liegt im öffentlichen Interesse, und es wiegt schwerer als das Interesse des Justizministeriums, Verfahren zu beschleunigen und Kosten für Hauptverhandlungen zu sparen.
Die Strafverfügung soll laut Entwurf der Diversion keine Konkurrenz machen. Doch genau das ist zu befürchten. Es besteht die Gefahr, dass die Praxis den Weg des geringsten Widerstands geht. Die Strafverfügung erspart dem Richter die Hauptverhandlung, ferner Mitteilungen, Fristvormerkungen und Beschlüsse, die bei diversionellen Erledigungen anfallen. Führt der Richter dennoch eine Diversion durch, muss er mit Widerstand des Staatsanwalts rechnen, der dagegen Beschwerde erheben kann.
Auch für den Staatsanwalt ist die Strafverfügung eine arbeitssparende Alternative zur Diversion. Das gilt besonders für sozialkonstruktive Maßnahmen wie Tatausgleich, Probezeit mit Verpflichtungen und gemeinnützige Leistungen, bei denen der Staatsanwalt den Fall länger betreuen muss. Der Strafantrag verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer Strafverfügung ist die viel „einfachere“ Lösung: Der Staatsanwalt erspart sich auch die zeitraubende Sitzungstätigkeit in einer Hauptverhandlung. Der Niedergang der Diversion wird wohl nicht aufzuhalten sein.

Univ.-Prof. Dr. Andreas Venier lehrt am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Innsbruck.

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