Niederlassungsfreiheit: Wenn Gesellschaften übersiedeln

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OGH lässt grenzüberschreitende Sitzverlegung von EU-Gesellschaften nach Österreich zu, sofern diese sich in eine inländische Gesellschaftsform umwandeln.

Wien. Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Gesellschaften aus EU- und EWR-Staaten nach Österreich (Import-Verschmelzungen) und von österreichischen Gesellschaften zur Aufnahme durch ausländische EU- und EWR-Gesellschaften (Export-Verschmelzungen) gehören heutzutage zum juristischen Alltag. Details regelt das EU-Verschmelzungsgesetz, mit dem die 10. (Verschmelzungs-)Richtlinie umgesetzt wurde. Analog dazu wurden auch bereits Verschmelzungen über die österreichisch-schweizerische Grenze von den Registerinstanzen beider Länder durchgeführt.

EuGH stellte die Weichen

Die Sitzverlegung von Gesellschaften von einem EU- oder EWR-Staat zählt noch nicht zur ständigen Gestaltungspraxis, obwohl an ihrer Zulässigkeit nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rechtssachen Cartesio und Vale kein Zweifel mehr besteht: Wenn inländischen Gesellschaften die Umwandlung offensteht, muss auch eine ausländische EU- oder EWR-Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich in eine inländische Gesellschaft umzuwandeln. Da eine österreichische GmbH in eine österreichische AG umgewandelt werden kann, muss zum Beispiel auch eine deutsche GmbH die Möglichkeit haben, sich in eine österreichische AG umzuwandeln. Dies folgt aus der Niederlassungsfreiheit. Die nationalen Rechtsordnungen müssen die grenzüberschreitende Sitzverlegung bei gleichzeitiger Umwandlung der Gesellschaft in eine Rechtsform des Zuzugsstaats zulassen.

Anders als bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen fehlen für die grenzüberschreitende Sitzverlegung europarechtliche und nationale Ausführungsvorschriften. Die geplante Richtlinie über die grenzüberschreitende Sitzverlegung wurde nicht realisiert. Folglich bestand für den Rechtsanwender bisher große Unsicherheit, ob grenzüberschreitende Sitzverlegungen nach Österreich in der Praxis überhaupt wirksam vollzogen werden können.

Seit der soeben veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) 6 Ob 224/13d ist das anders. Die Gesellschafter einer italienischen S.A.S., einer Kommanditgesellschaft nach italienischem Recht, hatten beschlossen, den Satzungs- und Verwaltungssitz von Italien nach Österreich unter Wechsel des anwendbaren Rechts und Umwandlung in eine österreichische Kommanditgesellschaft zu verlegen. Die österreichischen Gerichte lehnten die Eintragung der Gesellschaft ins österreichische Firmenbuch letztlich wegen formaler Fehler ab; so hatten die Gesellschafter insbesondere verabsäumt, rechtzeitig einen KG-Gesellschaftsvertrag abzuschließen. Der OGH stellte aber klar, dass die Sitzverlegung von EU- und EWR-Gesellschaften nach Österreich unter gleichzeitiger Umwandlung in eine österreichische Gesellschaft zulässig ist.

Folgende Bedingungen sind zu erfüllen: Die Gesellschaft muss nicht nur den Satzungssitz, sondern auch den Verwaltungssitz nach Österreich verlegen. Die Sitzverlegung muss nach dem Recht des Wegzugsstaats zulässig sein, und die Gesellschaft muss die danach bestehenden Voraussetzungen erfüllen. Die Anforderungen nach österreichischem Recht, insbesondere in Bezug auf Satzung, Kapitalausstattung und Organbesetzung, sind zu erfüllen. Dass kein nationales Ausführungsgesetz besteht, ist kein Hindernis.

Steuerliche Vorteile

Die Entscheidung wird die Gesellschaftspraxis stark beeinflussen. Anders als Verschmelzungen, die häufig Grunderwerbsteuern auslösen und zu Problemen mit Verlustvorträgen führen können, ist die identitätswahrende Sitzverlegungsumwandlung mit keinen steuerlichen Nachteilen verbunden. Auch andere grenzüberschreitende Umgründungen, selbst, wenn für sie ein dem EU-Verschmelzungsgesetz vergleichbares Ausführungsgesetz fehlt, sind nach der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit grundsätzlich zuzulassen. Dies gilt insbesondere für die grenzüberschreitende Spaltung, aber auch für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Genossenschaften.

Hingegen ist der Wegzug aus Österreich noch nicht gerichtlich geklärt. Da ein ausdrückliches Verbot der Exportsitzverlegung fehlt, sollte diese nach führenden Kommentarmeinungen zulässig sein. Andernfalls würden österreichische Gesellschaften als „Gefangene der Republik“ gegenüber ausländischen Gesellschaften diskriminiert, deren Zuzug durch Österreich zugelassen werden muss.


Mag. Thomas Lettau, LL.M., ist Partner von BPV Hügel Rechtsanwälte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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