Die gravierendsten Vorwürfe mit den größten Zufälligkeiten

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Schöffen - und Geschworenengerichten obliegt die Beurteilung von Delikten, die mit den strengsten Strafen bedroht sind. Um die Wahrscheinlichkeit gerechter Entscheidungen zu erhöhen, müsste die Berufung gegen die Schuldsprüche dieser Gerichte ermöglicht werden.

Wien. Geschworenengerichten obliegt nach der Strafprozessordnung die Beurteilung von politischen Delikten und Verbrechen, die mit den strengsten Strafen bedroht sind. Die Schuldfrage haben die Geschworenen in geheimer Abstimmung ohne Mitwirkung von Berufsrichtern zu lösen. Die Beweiswürdigung der Geschworenen ist nicht anfechtbar.

Das System schreit seit Jahrzehnten nach einer Reform, die durchzusetzen aber tatsächlich so kompliziert zu sein scheint, dass sie immer wieder auf die lange Bank geschoben wird. Spektakuläre Fälle bringen die Diskussion über eine Reform zwar immer wieder in Gang, Gesetzesnovellen brachten in der Praxis aber nur bedeutungslose Retuschen. So dürfte es auch in Zukunft bleiben. Justizminister Wolfgang Brandstetter, selbst erfolgreicher Verteidiger in Strafsachen, hat eine Reform des Strafprozessrechts vorgelegt. Schwerpunkte sind Mängel des derzeitigen Systems, die er bei der Verteidigung seiner Mandanten und nun als Ressortchef selbst wahrnehmen musste.

Reform längst fällig

Die längst fällige Reform des Geschworenenverfahrens, wie sie von Rechtsgelehrten und Rechtsanwälten seit Jahrzehnten gefordert und von der Politik seit ebenso langer Zeit immer wieder versprochen wird, findet sich im Katalog der Reformpläne des Justizministers nicht. Der oft vertretene Vorschlag der Schaffung eines erweiterten Schöffensenates und der Einführung einer Begründungspflicht für die von diesem zu fällenden Urteile (Geschworenenurteile brauchen keine Begründung des Wahrspruches zu enthalten) wird das Problem weder lindern noch lösen. Denn auch die Urteile der begründungspflichtigen Schöffengerichte sind in der Schuldfrage unanfechtbar. Wenn eine Begründung mängelfrei ist, ist sie unanfechtbar. Ob sie das ist oder nicht, ist vom fachlichen Können ihres Verfassers abhängig, ebenso wie die Lenkung des Geschworenenverdiktes vom Charisma des Vorsitzenden. Für Verteidigung wie Anklagebehörde handelt es sich dabei um nicht beeinflussbare aleatorische Momente, für den betroffenen Angeklagten sind sie schicksalhaft.

Die Probleme im Geschworenenverfahren und teilweise auch im Schöffenprozess liegen auch in der Prozessleitung. Wenn die Berufsrichter von der Wahrheitsfindung ausgeschlossen sind, dann sollten sie auch nicht an der Aufbereitung des Prozessstoffes mitwirken dürfen, den die Geschworenen zu beurteilen haben. Die Aufgabe des Vorsitzenden (man könnte damit gleich die beiden beisitzenden Richter einsparen) wäre dann in der Garantie eines gesetzeskonformen Prozessablaufs gelegen. Die Aufbereitung des Prozessstoffs wäre ausschließlich Sache von Anklagebehörde und Verteidigung. Die Laienrichter wären dann in ihrer Entscheidungsfindung wirklich frei von jeder tatsächlichen oder scheinbaren Beeinflussung durch Berufsrichter.

Fernab des fairen Verfahrens

Dass der Vorsitzende den Geschworenen in geheimer Beratung und ohne Angeklagten und Verteidiger erklärt, welche Beweise in welcher Weise für und gegen den Angeklagten sprechen, widerspricht den Grundsätzen der Unmittelbarkeit, der Öffentlichkeit und des rechtlichen Gehörs. Ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht anders aus! Die Zulässigkeit dieser geheimen Beratungen muss sofort abgeschafft werden.

Im Schöffen- und Geschworenenverfahren gibt es keine Schuldberufung, also keine Möglichkeit, einen als ungerecht empfundenen Wahrspruch zu bekämpfen. Dass sich der Glaube an die Unfehlbarkeit der Kollegialgerichtsbarkeit nunmehr durch Jahrzehnte unerschütterlich halten kann und deren Entscheidungen im Schuldbereich unanfechtbar bleiben konnten, ist und bleibt unverständlich. Es muss daher eine Berufungsmöglichkeit gegen den Schuldspruch eines Schöffensenats zugelassen werden, und für die Geschworenen muss eine Berufungsinstanz gegen den Wahrspruch vorgesehen werden. Auch der neue Leiter der Generalprokuratur, Werner Pleischl, hat dies in einem Interview deutlich kritisiert und die Schaffung einer Tatsacheninstanz angeregt.

Es besteht daher noch viel Reformbedarf. Mit bloßen Retuschen der Strafprozessordnung wird man die wirklichen Probleme im Strafrecht nicht in den Griff bekommen.

Mag. Liane Hirschbrich, LL.M., ist Rechtsanwältin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2014)

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