Einseitige Tarifanhebung unzulässig?

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Bei geplanten Tarifänderungen muss kundenseitig neben bloßer Kündigung auch die unveränderte Fortführung des Vertrags möglich sein. Auch wenn der Regulator das anders sieht.

Wien. Verträge sind einzuhalten. Dieser Grundsatz soll laut der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) im Kommunikationssektor nicht gelten: „Das Telekommunikationsgesetz (TKG 2003) räumt den Betreibern [...] die Möglichkeit ein, eine einseitige Änderung [...] auch der Entgeltbestimmungen vorzunehmen“ (www.rtr.at/de/tk/FAQ169).

In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auf das angeblich schadloshaltende Sonderkündigungsrecht der Kunden hingewiesen: Man könne den Vertrag ohne Rücksicht auf vermeintliche Restlaufzeiten kündigen. Damit fällt aber Aufwand für die Recherche aktueller und vielfach teurerer Angebote an, ebenso wie Kosten der Rufnummernübertragung und mittlerweile etwa 70 Euro Gebühr für den neuen Vertragsabschluss („Aktivierung“). Unter diesen Umständen ist die Zahlung von „ein paar Euro mehr“ oft das geringere Übel, das auf der Gegenseite über Millionen Kunden Monat für Monat gute Mehrerträge einbringt.

Insoweit wird durch die eigentlich zur Sicherstellung von Wettbewerb und damit zum Schutz der Kunden eingerichtete Behörde der Grundstein für ein heuer besonders gut zu beobachtendes Phänomen geschaffen: Während Handyneukunden schon seit letztem Jahr markant mehr zu berappen haben (laut Verbraucherpreisindex, VPI, sind die Mobilfunkpreise zwischen 2011 und 2013 um 15% gestiegen), wird heuer gern in die Taschen der Bestandskunden gegriffen.

A1 hat manche Bestandstarife der Diskontmarke Bob im März um mehr als 70% angehoben (von vier auf 6,8 Cent pro Minute plus verschlechterter Taktung bei der Abrechnung). Im Mai ging es bei normalen Mobilfunkkunden von A1 weiter, wo bei bestehenden Verträgen etwa zwei Euro einseitig auf die Grundgebühr aufgeschlagen wurden. Doch damit nicht genug: Fast ebenso viel wurde darüber hinaus noch durch die nachträgliche Einführung von „SIM-Pauschalen“ lukriert; außerdem wurde nun einseitig eine Wertanpassung nach dem VPI hinzugefügt.

Inflationsanpassung eingebaut

Damit sollen die Grundgebühren jährlich mit der allgemeinen Inflation steigen, obwohl Kommunikationsdienste dadurch gekennzeichnet sind, dass sie infolge technischen Fortschritts stetig billiger oder zumindest besser werden (laut A1 selbst sind die Preise in 13 Jahren um mehr als 20% gefallen). Umgekehrt fehlt regelmäßig eine „Stand der Technik“-Klausel, damit wenigstens allfällige Datenvolumina und Downloadgeschwindigkeiten im Sinne der Äquivalenz mitwachsen. Insoweit ist die Zulässigkeit derartiger – unpassender und einseitig benachteiligender – Klauseln in meinen Augen selbst bei Neuverträgen zweifelhaft.

„3“ folgte dem „Vorbild“ von A1 und hat kürzlich für Oktober ähnliche einseitige Vertragsänderungen angekündigt. Die „bloßen“ einseitigen Grundgebührenanhebungen vom Juli waren offenbar nicht genug. Auch die Parallelität der Preisanhebungen ist in einem einigermaßen konsolidierten Oligopolmarkt mit nur drei großen Anbietern nicht allzu erstaunlich. Lediglich die zuständige Regulierungsbehörde hat daraus noch keine Schlüsse gezogen. Sie hält die Mobilfunkbetreiber auf den Endkundenmärkten weiterhin für weder einzeln noch gemeinsam fähig, Marktbedingungen signifikant zu beeinflussen. Sonst wären sie nämlich dem engeren Korsett der telekomspezifischen Wettbewerbsregulierung zu unterziehen, das auch hoheitliche Tarifbegrenzungen zum Schutz der Kunden umfasst.

Nur T-Mobile zeigt vorläufig – und mit Ausnahme der Diskontmarke Telering – mehr Ethos: Sie hält sich bei Altverträgen, in denen noch keine grundgebührensteigernden Pauschalen oder Indexklauseln vereinbart waren, mit einseitigen Eingriffen in bestehende Vertragsverhältnisse vorerst zurück. Das schließt freilich nicht aus, dass neue Tarifangebote teurer werden und seit etwa drei Jahren entsprechende Klauseln in Neuverträge eingebaut werden.

Entgegen der gemeinsamen Ansicht von RTR und Anbietern ist jedoch auf eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (4Ob115/13k) hinzuweisen. Dort wird beiläufig ausgesprochen, was eigentlich längst klar sein müsste, auch wenn der Gesetzgeber den Text von § 25 TKG tatsächlich sehr ungeschickt formuliert hat: „Diese Bestimmung [sagt] nichts über die Zulässigkeit von Vertragsänderungen im Einzelfall aus [...], sondern [regelt] nur allgemein unter anderem die Vorgangsweise bei Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Entgeltbestimmungen der Betreiber von Kommunikationsnetzen.“

Selbst wenn der bloße Wortlaut von § 25 TKG auch anders – nämlich im eingangs zitierten Sinne der RTR – verstanden werden kann, so gebietet die juristische Methodenlehre eine Auslegung im Sinne des Erkenntnisses des OGH (s. zuvor schon 4 Ob 227/06w). Hierbei sind nämlich auch die Rechte der Nutzer nach Art 20 der europäischen Universaldienstrichtlinie und die erläuternden Bemerkungen der Gesetzesmaterialien ebenso wie die allgemeinen Grundsätze der Rechtsordnung zu berücksichtigen.

Änderung nur mit Einwilligung

§ 25 TKG kann daher nicht dahin gehend verstanden werden, dass die ohnehin tendenziell übermächtigen Telefonanbieter auch noch ein einseitiges und uneingeschränktes Vertragsanpassungsprivileg erhalten, um damit abgeschlossene Verträge gegenüber Kunden beliebig zu verschlechtern. Vielmehr gebietet §25TKG nur spezifische Kundmachungsvorschriften für Änderungswünsche im Telekommunikationsbereich, die über das inhaltlich weiter anwendbare, allgemeine bürgerliche Recht hinausgehen. An der Tatsache, dass ein Vertrag ebenso wie dessen Änderung der beiderseitigen Zustimmung der Vertragspartner bedarf, ändert sich daher nichts.

Akzeptiert der einzelne Kunde die Änderungsvorschläge nicht, kann sich demnach auch bei Telefonverträgen an sich nichts an dem vorhandenen und wechselseitig verbindlichen Vertrag ändern.

Widerspruch kann sich lohnen

Insoweit kann betroffenen Kunden, die den Vertrag nicht ohnehin beenden möchten, nur geraten werden, dem Wunsch auf Änderung des Vertrags in erster Linie zu widersprechen. Sollte der Anbieter weiterhin die „neuen“ Vertragsbedingungen zugrunde legen wollen, kann auch ein gebührenfreies Streitbeilegungsverfahren bei der RTR als Schlichtungsstelle eingeleitet werden. Der vermeintlich kleine Betrag tut dabei nichts zur Sache: Einerseits handelt es sich um ein grundsätzliches Problem in der Branche, andererseits fehlt im TKG jede Grundlage, wonach die RTR über bloße Verfahrensrichtlinien vermeintliche Bagatellbeträge vom gesetzlich vorgesehenen Schlichtungsverfahren zur inhaltlichen Kontrolle ausschließen könnte.

Bei hinreichenden Anträgen wird auch die RTR schlussendlich ihre rechtswidrige Rechtsansicht überdenken und ihre ebenso unpassende Mitteilungsverordnung anpassen müssen, da ihr bei unvertretbarer Rechtsanwendung auch Amtshaftungsansprüche drohen. Der andere Arm der Telekom-Regulierungsbehörde, die Telekom Control Kommission, scheint seine Meinung bereits gesetzeskonform angepasst zu haben: Im Bescheid M1.9/12-81 vom 30.9.2013 führt die Telekom Control Kommission aus, dass für Tariferhöhungen neben den formalen Voraussetzungen von § 25 TKG sehr wohl auch die entsprechenden „individuellen Vereinbarungen“ notwendig sind, die das klassische Vertragsrecht schon immer gefordert hat.

AUF EINEN BLICK


Dr. Philipp Lust, LL.M., arbeitet im Finanzministerium und ist Autor des Buchs „Telekommunikationsrecht im Überblick“ (2003).Die Telekom-Anbieter in Österreich haben heuer auch bei bestehenden Verträgen signifikante Tarifanhebungen durchgeführt. Laut Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) ist dieses Vorgehen rechtlich einwandfrei. Es ist jedoch fraglich, ob der Grundsatz, dass Verträge wechselseitig verbindlich sind, im Kommunikationssektor tatsächlich unanwendbar ist. Dass dem Kunden ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt wird, ändert nichts an diesem grundsätzlichen Problem.

Der 4. Senat des OGH hat festgehalten, dass das Telekommunikationsgesetz in § 25 bloß allgemein die Vorgangsweise bei der Änderung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Tarifbestimmungen regelt. Die Wirksamkeit einer tatsächlichen Änderung im Einzelfall ist demnach weiterhin nach allgemeinem Vertragsrecht zu beurteilen. Dieses verlangt die Zustimmung beider Vertragspartner. Ohne Zustimmung des Kunden ist eine Tariferhöhung demnach unwirksam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

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