Behindertes Kind geboren: Kein Kostenersatz

(c) FABRY Clemens
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Sie hätte abgetrieben, wenn sie früh von der Krankheit ihres Kindes erfahren hätte, sagte die Mutter. Sie erfuhr aber noch vor der Geburt davon: Die Klage schlug fehl.

Wien. Es ist eine tragische Geschichte, aber rechtlich von großer Brisanz. Ein Kind kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt und starb nach nur eineinhalb Monaten. Die Eltern kämpften daraufhin um Schadenersatz, weil Ärzte bei der Untersuchung der Schwangeren einen Fehler gemacht haben sollen.

Nun ist nach Urteilen der Vorjahre klar, dass man Ärzte zum Unterhalt für ein Kind verpflichten kann, wenn dieses bei korrekter Diagnose abgetrieben worden wäre. „Wrongful birth“ nennt sich das Phänomen in der Fachsprache. Auch im aktuellen Fall beriefen sich die Eltern auf die Möglichkeit der Abtreibung. Aber diesmal forderten die Eltern nicht den Unterhalt ein, sondern Ersatz für Nachteile, die direkt durch die Geburt entstanden.

Fahrt- und Parkkosten, Verdienstentgang, Schmerzengeld für die Kaiserschnitt-OP, aber auch die Kosten für ein Stofftier, das man für das Baby gekauft hat, wurden eingeklagt. Zudem wurden Kosten für Arztbesuche, psychotherapeutische Behandlung, Begräbniskosten und Trauerentschädigung gefordert. Mehr als 400.000 Euro verlangten die Eltern insgesamt. So wurde auch geltend gemacht, dass der Vater wegen der Geburt einen lukrativen Job im Ausland abgelehnt hatte.

Geklagt wurde ein Krankenhaus, in dem Ärzte die Schwangere (sie hat selbst Medizin studiert) untersucht hatten. Zwar war der Befund, den die Ultraschalluntersuchung in der 20./21. Schwangerschaftswoche ergeben hatte, unauffällig. Doch die Mediziner verabsäumten es, die Frau trotzdem an ein Zentrum für Pränataldiagnostik zu überweisen. Dabei hätte der Fall als Risikoschwangerschaft eingestuft werden müssen, zumal die Frau eine Bluterkrankung hat und bereits ihr erstes Kind Fehlbildungen aufwies.

Herzfehler zwei Monate später entdeckt

Zwei Monate später fand ein Experte im Rahmen einer anderen Untersuchung heraus, dass das Kind an einem schweren Herzfehler litt. Die Frau brachte das Kind zwei weitere Monate später zur Welt, doch es verstarb.

Vor Gericht erklärten die Eltern, dass sie das Kind hätten abtreiben lassen, wenn sie schon nach der früheren Untersuchung vom Fehler erfahren hätten. Die Ärzte hätten mit einer nicht ausreichenden Methode geprüft. Zum späteren Zeitpunkt, als der Herzfehler feststand, wäre aber nur mehr ein Fetozid möglich gewesen: Dabei wird das Kind im Mutterleib durch Herzgift getötet. Die Abtreibung wäre jedoch wegen der Behinderung des Kindes auch zum späteren Zeitpunkt noch straffrei und damit möglich gewesen.

Das Handelsgericht Wien wies die Klage der Eltern ab. Die Ärzte hätten den Herzfehler des Kindes nicht zu verantworten. Das Oberlandesgericht Wien (OLG) ortete einen Diagnosefehler und sprach den Eltern 7500 Euro zu. Darin enthalten waren Fahrt- und Parkkosten, psychologische Behandlung, Begräbniskosten und das Stofftier, Zum Schmerzengeld für den Kaiserschnitt hielt das OLG fest, dass auch ein Schwangerschaftsabbruch Schmerzen verursacht hätte und man daher nur Ersatz für ein etwaiges Mehr an Schmerzen durch die Geburt einklagen könnte.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies die Klage aber wieder zur Gänze ab. Die Ärzte hätten die Untersuchung korrekt durchgeführt. Und die Patientin habe, da sie selbst Medizinerin ist, wissen müssen, dass diese Untersuchung noch nicht alle Risken abdeckt. Aber die Ärzte hätten ihre Vertragspflicht verletzt, indem sie die Frau wegen der Risikoschwangerschaft nicht gleich an ein Zentrum für Pränataldiagnostik überwiesen.

Doch der Herzfehler des Kinds sei zwei Monate später von einem Fachmann „ohnehin diagnostiziert“ worden. Die danach entstandenen Folgen könne man den Ärzten nicht mehr anlasten, sagte der OGH, der noch einmal die Rechtslage zu einer möglichen Abtreibung skizzierte. Ein Beweis, dass bei den Eltern ein Schaden durch die verspätete Information eingetreten wäre, sei nicht erbracht worden, so der OGH (8 Ob 54/14w). Es liege ein „schwerer Schicksalsschlag“ vor, den die Ärzte jedoch nicht zu verantworten hätten.

Ersatz der Kosten grundsätzlich möglich

Man könne aus dem Urteil aber ableiten, dass der OGH gewillt wäre, auch abseits des Unterhalts Eltern Ersatz zuzusprechen, wenn ein Kind infolge mangelnder ärztlicher Aufklärung zur Welt kommt, analysiert Andreas Kletečka von der Uni Salzburg. In diesem Fall sei die Klage am mangelnden Nachweis gescheitert, dass das Verhalten der Ärzte für die Folgen kausal war, sagt Kletečka zur „Presse“.

AUF EINEN BLICK

Der OGH urteilte schon bisher, dass Ärzte Unterhalt für ein behindertes Kind leisten müssen, wenn dieses infolge mangelnder Aufklärung der Eltern zur Welt kam. Nun wurde aber nicht der Unterhalt, sondern es wurden sonstige Kosten, die durch die Geburt entstanden, eingeklagt. Der OGH lässt erkennen, dass auch diese Kosten zugesprochen werden können. Die Klage scheiterte aber: Die Eltern hatten noch vor der Geburt von der Behinderung erfahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

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