Weichenstellung für mehr Fairness im Prozess

(c) GEPA pictures/ Christian Ort
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Mit seinem Antrag an den Verfassungsgerichtshof, umstrittene Bestimmungen über die Sachverständigenbestellung in Strafverfahren aufzuheben, bemüht sich der Oberste Gerichtshof um "Waffengleichheit".

Wien. In der Auseinandersetzung um das strafprozessuale System der Sachverständigenbestellung bahnt sich eine für viele Strafverfahren bedeutsame Wende an. Zunächst hat der prominent besetzte 17.Senat des Obersten Gerichtshofs (17Os 25/14a) in ausdrücklicher Ablehnung gegenteiliger Entscheidungen anderer Strafrechtssenate erhebliche Bedenken an der Verfassungskonformität der Vorschriften über die Sachverständigenbestellung im Strafverfahren geäußert. Der 11. Senat (11 Os 26/14d) hat dies jetzt zum Anlass genommen, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von Bestimmungen der Strafprozessordnung (in den §§126 und 128 StPO) als verfassungswidrig zu beantragen. Gleichzeitig hat er das Rechtsmittelverfahren in einem spektakulären Fall (unschwer als ein Verfahren um die Immofinanz zu erkennen – „Die Presse“ hat berichtet) bis zur Entscheidung des VfGH ausgesetzt.

„Zeuge der Anklage“

Das Thema ist weder unbekannt noch unumstritten: Die seit 1.Jänner 2008 geltende StPO-Reform ließ den Sachverständigenbeweis im Strafprozess trotz mehrerer Retuschen in seinem Kern unverändert, allerdings mit der systembedingten Ausnahme, dass der Sachverständige im Ermittlungsverfahren nicht mehr vom Gericht, sondern vom Staatsanwalt beauftragt wird. In der Folge wird er im Hauptverfahren als Gerichtssachverständiger bestellt. Diese viel kritisierte Regel macht ihn faktisch zu einem „Zeugen der Anklage“, dem die Verteidigung nach einer eingefahrenen Judikatur nichts Gleichwertiges entgegensetzen kann.

Vorbehalte der Gegenseite

Viele Beispiele zeigen, dass diese Einschätzung teils realitätsfremd ist, teils auch im Fall ihrer Richtigkeit nichts daran ändert, dass einem vom Staatsanwalt – also einer Prozesspartei – eingesetzten Experten von der Gegenseite (der Verteidigung) mit Vorbehalten begegnet werden muss. Sachverständige arbeiten ja nicht um Gottes Lohn, sondern werden – jedenfalls zunächst – vom Staat in einem Ausmaß entlohnt, das sich in Wirtschaftsstrafsachen in atemberaubende Höhe bewegen kann. In diesen Verfahren werden Sachverständige typischerweise zu Fragen wie Vorliegen bzw. Zeitpunkt einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, Eintritt oder Höhe eines Schadens für Unternehmen beigezogen. In der Sache Hypo-Vorzugsaktien ging es zum Beispiel auch um die sehr strittige Frage, ob durch die Vorzugsaktien der Bank Eigenmittel zur Verfügung gestellt wurden.

Justizorgane ziehen immer wieder dieselben Sachverständigen heran – man kennt einander und hat einander in gemeinsamer Arbeit schätzen gelernt. Das gibt dem Gerücht, dass Sachverständige ihren Auftraggeber – den Staatsanwalt – nur ungern enttäuschen wollen, stete Nahrung.

Aber nicht nur in den lukrativen Wirtschaftsfällen, auch in Mordverfahren ist die Sachverständigenbestellung durch den Staatsanwalt brisant. In diesen Verfahren geht es um Sein oder Nichtsein des Angeklagten. Seine Zurechnungsfähigkeit, seine Schilderung des Tathergangs, all das hängt in der Praxis am Gutachten eines Sachverständigen, das zu bekämpfen mit den derzeitigen Mitteln der StPO nahezu unmöglich ist. Auch wenn es in diesen Fällen nicht um das Geld geht (medizinische Sachverständige werden weit unter ihrem Wert nahezu lächerlich gering entlohnt), zeigt das in Wahrheit die Kehrseite der Medaille: Wer schlecht entlohnt wird, versucht dies vielleicht durch geringeren Zeitaufwand zu kompensieren. Kritik an seiner Arbeit wäre mit weiterer Mühe verbunden und wird daher nicht gern gesehen, von den Richtern sogar oft in bedenklicher Weise unterbunden.

Der 17.Senat hat dies nun endlich auf den Punkt gebracht, indem er in der bisher auch von anderen OGH-Senaten nicht beanstandeten Übung einen geradezu gesetzlich angeordneten Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sieht. Nach ihr müssen Angeklagte das Recht haben, die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken wie die Belastungszeugen (Art 6 Abs 3 lit d 2.Fall). Die Tätigkeit des vom Staatsanwalt bestellten Sachverständigen im Ermittlungsverfahren ist funktionell dem Staatsanwalt zuzurechnen; im Hauptverfahren vor Gericht nimmt der Staatsanwalt hingegen (auch wenn er zur Objektivität verpflichtet ist) als Anklagevertreter strukturell eine Gegenposition zum Angeklagten ein. Durch diesen Rollenwechsel wird der bereits im Ermittlungsverfahren bestellte Sachverständige zum „Zeugen der Anklage“.

Es ist erfreulich, dass der 11.Senat den möglichen Verstoß gegen das faire Verfahren rasch aufgegriffen und an den VfGH herangetragen hat. Sollte der VfGH die Bedenken teilen und die (geltende) Bestimmung der StPO aufheben, wird der Gesetzgeber hoffentlich endlich eine grundrechtskonforme Regelung vorsehen. Die Brisanz des Anlassfalls lässt mit einer baldigen Entscheidung rechnen. Eine verfassungsgemäße Klärung ist im Hinblick auf die vielstrapazierte „Waffengleichheit“ vor Gericht dringend von Nöten.

Reform verschärft das Problem

Mit der vom Justizministerium vorgeschlagenen, Anfang 2015 in Kraft tretenden Modifikation der StPO wird das vom OGH und zahlreichen namhaften Juristen aufgezeigte Problem nicht gelöst, sondern verstärkt werden. Zwar soll der Beschuldigte künftig Einwendungen gegen einen vom Staatsanwalt ausgesuchten Sachverständigen vorbringen dürfen, doch bleibt die Entscheidungskompetenz darüber beim Staatsanwalt. Der Beschuldigte steht damit zwischen Skylla und Charybdis. Lehnt er den Sachverständigen erfolglos ab, verliert er bei diesem jedes Wohlwollen, akzeptiert er ihn, kann er sich später kaum mehr Erfolg versprechend gegen eine unrichtige Expertise zur Wehr setzen.

Weiters soll in Zukunft der Beschuldigte auch Privatgutachten vorlegen dürfen und in der Hauptverhandlung ein Privatsachverständiger direkt den Gerichtssachverständigen befragen können. Das ist zwar begrüßenswert, wird aber nur entsprechend vermögenden Beschuldigten helfen.


Mag. Liane Hirschbrich LL.M. ist Rechtsanwältin in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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