StGB-Bericht mit Potenzial zur Kriminalisierung

(c) Clemens Fabry
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Die vom Justizressort eingesetzte Arbeitsgruppe zur Reform des Strafrechts will die Strafdrohungen wegen Verletzungs- und Vermögensdelikten neu austarieren. Für eine großzügigere Senkung der Strafsätze fehlte der Mut.

Innsbruck. Seit einigen Tagen liegt der Bericht der Arbeitsgruppe StGB 2015 vor, die Vorschläge für notwendige Änderungen des mittlerweile 40 Jahre alten Strafgesetzbuchs machen soll. Die selektiv zusammengesetzte Arbeitsgruppe (vonseiten der Wissenschaft wurden nur Strafrechtsprofessoren aus Wien und Salzburg eingeladen) stand unter erheblichem Zeitdruck und war deshalb bei Weitem nicht in der Lage, sämtliche Delikte des Strafgesetzbuchs auf ihre Notwendigkeit und allfälligen Änderungsbedarf zu prüfen. Sie musste sich auf einige zentrale Punkte beschränken, insbesondere auf die Beseitigung oder zumindest Milderung des zunehmend kritisierten Ungleichgewichts zwischen den Strafsätzen für Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit und für Vermögensdelikte.
•Zur Umsetzung dieses Auftrags schlägt der Bericht eine Erhöhung der Wertgrenzen bei den Vermögensdelikten von 3000 auf 5000 Euro bzw. von 50.000 auf 300.000 Euro vor. Das erscheint grundsätzlich sinnvoll, da dadurch für manche Vermögensdelikte geringere Strafen drohen. Man könnte auch mutiger an die Sache herangehen und zahlreiche Strafdrohungen für Vermögensdelikte reduzieren. Zur Herstellung einer besseren Relation wurde leider nicht selten der umgekehrte Weg gewählt: die Erhöhung mancher Strafdrohungen für Delikte gegen Leib und Leben.
•Besonders problematisch erscheint der vorgeschlagene neue § 84 StGB, der für eine vorsätzliche schwere Körperverletzung einen Strafsatz von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Dieses Delikt kann nach der neuen Konzeption auch im Versuch begangen werden – mit gleichem Strafrahmen. Dadurch besteht die große Gefahr, dass aus jeder leichten Körperverletzung (Höchststrafe ein Jahr) gleich eine versuchte schwere Körperverletzung wird: Ein festerer Schlag ins Gesicht oder eine körperliche Attacke mit einem Gegenstand sind Umstände, die leicht zur Annahme führen können, dass der Täter es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, dem Opfer eine schwere Körperverletzung (mehr als 24 Tage Gesundheitsschädigung oder eine „an sich schwere“ Verletzung) zuzufügen, auch wenn der Beschuldigte das abstreitet. Das bewirkt eine Verfünffachung des Strafsatzes.

Im vorgeschlagenen § 84 StGB steckt also ein bedenkliches Kriminalisierungspotenzial, weshalb zu hoffen ist, dass dieser Vorschlag nicht umgesetzt wird. Staatsanwälte neigen dazu, von mehreren möglichen die schwerwiegendste Variante anzunehmen. Das zeigen die Anklagen wegen medizinischer Kunstfehler und bei Risikosportunfällen, bei denen regelmäßig besonders gefährliche Verhältnisse angenommen werden. Sollte der Vorschlag Gesetz werden, werden viele leichte Körperverletzungsfälle nicht mehr vor dem Bezirksgericht, sondern vor dem Landesgericht abgehandelt werden (müssen).
•Im Fahrlässigkeitsbereich sollen bei grober Fahrlässigkeit (ungewöhnliches, auffallend sorgfaltswidriges Verhalten) strengere Strafen als bisher drohen. An die Stelle der „besonders gefährlichen Verhältnisse“, die bei fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu höheren Strafdrohungen führen, soll die grobe Fahrlässigkeit treten.

Genügend Verfahren gegen Ärzte

Auch das ist problematisch, weil die grobe Fahrlässigkeit im Zivilrecht weit ausgelegt wird. Der in den Erläuterungen genannte Grund, dadurch grobes medizinisches Fehlverhalten besser erfassen zu können, leuchtet wenig ein. Lücken bei der strafrechtlichen Sanktionierung groben medizinischen Fehlverhaltens sind absolut nicht zu erkennen, wie die nicht eben seltenen Strafverfahren gegen Ärzte wegen fahrlässiger Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung zeigen.
•Die Arbeitsgruppe schlägt ferner vor, in der Definition der gefährlichen Drohung (§74 Abs 1 Z 5 StGB) die derzeit enthaltene Rechtsgüteraufzählung (Körper, Freiheit, Ehre, Vermögen) zu beseitigen. Dadurch will man auch Drohungen mit der Verbreitung von Nacktfotos oder mit der Veröffentlichung einer bestimmten sexuellen Orientierung erfassen, die nach neuerer Rechtsprechung des OGH keine Ehrverletzungen mehr darstellen.

Zweifellos können derartige Ankündigungen, die Persönlichkeitssphäre zu verletzen, beim Opfer große Besorgnisse auslösen und entsprechend nötigend wirken. Diese Fälle sollte man durch eine Ergänzung des §74 StGB erfassen. Ohne Aufzählung der Rechtsgüter verliert die gefährliche Drohung aber ihre Konturen, und es besteht die Gefahr, dass der Anwendungsbereich überdehnt wird: Derzeit sind Ankündigungen von Misshandlungen (z.B. Ohrfeigen), die keine Verletzung am Körper befürchten lassen, nicht als gefährliche Drohungen zu werten. Gleiches gilt für so unkonkrete Äußerungen wie „sonst wird etwas passieren“, bei denen man keine Bedrohung eines bestimmten Rechtsguts feststellen kann. Nach dem Vorschlag der Arbeitsgruppe könnte das anders sein.
•Die Untergrenze des Strafrahmens für schweren Raub (§143 StGB) soll von derzeit fünf Jahren auf ein Jahr Freiheitsstrafe herabgesetzt werden. Das ermöglicht zwar eine fallgerechtere Sanktionierung von Bagatellrauben (z.B. Abnötigen einiger Zigaretten mit einer drohend erhobenen Flasche). Aber schon die Anwendung der Qualifikation als schwerer Raub (Strafsatz ein bis 15 Jahre) erscheint für solche Fälle überzogen. Wenn der Täter auf eine so geringe Beute abzielt und lediglich droht, sollte die Tat nur als minderschwerer Raub (§142 Abs2 StGB) gewertet werden, auch wenn eine „Waffe“ im Spiel ist– nach der Rechtsprechung ist praktisch jeder Gegenstand eine Waffe.

Diese punktuelle Kritik soll die Leistung der Arbeitsgruppe nicht schmälern. Insgesamt ist das vorgelegte Papier gewiss eine gute Diskussionsgrundlage, als großen Wurf kann man es aber kaum bezeichnen.


Der Autor ist Professor für Strafrecht an der Uni Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2014)

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