Chlorhuhn? "Kein Hinweis darauf"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Kritiker des TTIP sehen durch das Freihandelsabkommen die Demokratie bedroht. Befürworter betonen, dass der US-Markt auch für Österreich wichtig sei.

Wien. TTIP – vier Buchstaben, die für Emotionen sorgen. Um das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den US ranken sich zudem viele Mythen. Eine, die mehr über dieses Abkommen wissen muss, ist Gabriela Habermayer, die als Leiterin der Abteilung Multilaterale und EU-Handelspolitik im Wirtschaftsministerium das Thema betreut.

„Es war irgendwann politisch ganz klar, dass man sich den USA annähern sollte, um gemeinsam Wachstum und Arbeitsplätze zu fördern“, sagte Habermayer beim letztwöchigen „Rechtspanorama am Juridicum“. Lang habe man versucht, dieses Ziel über die Welthandelsorgansiation WTO zu erreichen, erklärte Habermayer bei der von der „Presse“ und der Wiener Jus-Fakultät veranstalteten Diskussion. Vor eineinhalb Jahren aber kamen die Staats- und Regierungschefs überein, das Projekt TTIP zu starten. Es gehe um den Abbau von Zöllen, die Liberalisierung von Dienstleistungen und um regulatorische Fragen, sagte die Vertreterin des Ministeriums. So gebe es für Pharmazeutika oder Kfz-Ausrüstung in den USA und der EU strenge Zulassungsbestimmmungen – aber unterschiedliche.

Eine Vereinheitlichung würde hier den Unternehmen helfen, meinte Habermayer. Gleichzeitig machte sie die österreichische Position klar, laut der öffentliche Dienstleistungen weiterhin abgesichert bleiben, das Arbeitsrecht eingehalten und ein Nachhaltigkeitskapitel im TTIP festgeschrieben werde.

Nutzen von TTIP angezweifelt

Alexandra Strickner, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Attac Österreich, bezweifelt den Nutzen des Abkommens. So würde dieses zwar laut einer Studie 1,3 Millionen weniger Arbeitslose in den nächsten 20 Jahren bringen. Nur sei dieser Effekt „fast nichts“, wenn man die Zahl in Europa auf ein Jahr herunterrechne. Zudem könne, während der Handel mit den USA steigt, der innereuropäische Handel zurückgehen. Gerade letzterer sei für Österreich aber wichtig.

Insbesondere warnte Strickner vor dem Investorenschutz im TTIP, der eine „Gefahr für die Demokratie“ sei. Die Ökonomin erinnerte an den schwedischen Energiekonzern Vattenfall, der Deutschland vor ein Schiedsgericht zerrte, weil die Bundesrepublik den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss. Argentinien wiederum sei 41 Mal geklagt worden, „für Maßnahmen die sie zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise gesetzt haben“, echauffierte sich Strickner. Dabei ging es etwa um das Einfrieren von Wasser und Gaspreisen. Das Land sei zu 980 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt worden.

Die Attac-Aktivistin warnte auch vor dem Regulatorischen Rat. Im Rahmen eines Frühwarnsystems sollen Staaten künftig bekannt geben müssen, welche Gesetze sie ändern wollen. Das gebe großen Industrieverbänden Einflussmöglichkeiten, meinte Strickner.

US-Markt Chance für Österreich

Österreich sei ein kleines Land und brauche dementsprechend größere Märkte, betonte Michael Löwy, Bereichsleiter Internationale Beziehungen in der Industriellenvereinigung. Es gelte, den Wohlstand, den man in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat, zu halten. „Die Industriellenvereinigung glaubt an den Mehrwert von Freihandelsabkommen“, erklärte Löwy. Es stimme zwar, dass Österreich viel ins europäische Ausland, vor allem nach Deutschland, exportiere. Doch nicht alles, was man dorthin verkauft, bleibe dort. „Der größte Handelspartner von Bayern ist die USA“, sagte Löwy. Das zeige, wie wichtig der US-Markt – zumindest indirekt – auch für Österreich sei.

Ein weiterer Aspekt: Circa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA entfallen auf den öffentlichen Beschaffungsmarkt, der aber abgeschottet ist. Würde dieser für Europäer geöffnet werden, könnten österreichische Firmen US-Spitälern etwa Spritzen verkaufen. Und gerade einheitliche Regeln bei Zulassungen – momentan müssten selbst Blinker für Autos in den USA und in Europa unterschiedliche Farben haben – seien nötig. Ängste, dass das TTIP Standards senkt und man künftig Chlorhühner essen muss, hält Löwy für unangebracht: „Es gibt keinen glaubwürdigen Hinweis, dass so etwas passieren wird.“

„Vieles bleibt im Dunkeln“

„Vieles bleibt im Dunkeln“, lautet die Einschätzung von Gabriele Zgubic, die der Abteilung Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer Wien vorsteht. Sie hat die Sorge, dass im TTIP „gesellschaftliche Werte als Hemmnis“ für den Handel gewertet werden. Man solle sich aber auch überlegen, wie man den Umwelt- oder Konsumentenschutz verbessern könne. Hierzulande herrsche das Vorsorge-, in den USA das Nachsorgeprinzip: Dort lasse man neue Stoffe eher zu und verbiete sie, falls sie gefährlich sein sollten, im Nachhinein. Das dürfe es in der EU nicht geben.

Einen Investitionsschutz hält Zgubic zwischen EU und USA nicht für nötig. Einen solchen Schutz benötige man nur bei Abkommen mit Ländern, in denen demokratische Standards nicht sehr entwickelt sind. „Es ist die Frage, ob solche Schiedsgerichte, die nur Unternehmen und sonst niemanden begünstigen, notwendig sind.“

„Der Rechtsschutz ist nicht nur da, um Investoren anzulocken. Er ist ein Wert für sich“, erwiderte August Reinisch, Professor für Internationales Recht und Vizedekan der Wiener Jus-Fakultät. Und es könne in jedem Staat der Welt vorkommen, dass einmal etwas nicht wie gedacht funktioniert. Rechtsschutz benötige man ja immer nur, „wenn etwas schief geht“. Reinisch weiter: „Dass Unternehmen Ansprüche direkt geltend machen können, ist eine rechtsstaatliche Errungenschaft.“ So seien Firmen nicht mehr von Lobbys abhängig, die erst den Staat dazu bringen müssen, für die Firma zu klagen.

Furcht vor den Richtern

Auch der Furcht, dass ein Richtergremium im Geheimen über Streitfragen bei solchen Abkommen entscheidet, trat Reinisch entgegen: „In den meisten Fällen wird nicht geheim verhandelt“, berichtete er über Schiedsgerichte. Der Professor verwies zudem auf das schon ausverhandelte (aber noch nicht beschlossene) Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA), das als Vorbild für das TTIP dienen könnte. Hier hätten die Vertragspartner vereinbart, dass abseits von außergewöhnlichen Fällen regulatorische Maßnahmen nicht als indirekte Enteignungen von Unternehmen zu qualifizieren sind. Das beschränkt die Klagsmöglichkeiten.

Einig war man sich auf dem Podium, dass Transparenz bei den Verhandlungen zum TTIP nötig sei. Dass es nun mehr Informationen geben soll, habe man der öffentlichen Kritik von Organisationen wie Greenpeace und Attac zu verdanken, meinte Reinisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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