StGB 2015: Weniger Haftstrafen zu erwarten

(c) Clemens Fabry
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Die Arbeitsgruppe zur Reform des Strafgesetzbuchs schlägt unter anderem höhere Wertgrenzen bei Vermögensdelikten und eine engere Umschreibung der Gewerbsmäßigkeit vor. Beides hat Potenzial zur Entkriminalisierung.

Wien. Klaus Schwaighofer hat im Rechtspanorama (6. Oktober) die Diskussion über den Bericht der Reformgruppe zum Strafgesetzbuch eröffnet. Seine Sorge des bedenklichen Kriminalisierungspotenzials lässt sich jedoch leicht entkräften.

Worum geht es? Die vormalige Justizministerin Beatrix Karl hat im Februar 2013 den Auftrag erteilt, das Strafrecht daraufhin zu prüfen, ob es noch den sich ändernden Werthaltungen der Allgemeinheit entspricht. Ziel war es, punktuelle Reformen nach Art einer Anlassgesetzgebung zu vermeiden (Strafrecht als vermeintlich schnelle „Problemlösung“) und Möglichkeiten aufzuzeigen, den Rechtsgütern der körperlichen Integrität und der Privat- und Intimsphäre gegenüber jenem des Vermögens einen höheren Stellenwert einzuräumen.

Enges zeitliches Korsett

Die Arbeitsgruppe sollte schon in der ersten Jahreshälfte 2014 einen Bericht darüber erstatten, welche Änderungen im Strafgesetzbuch (StGB) „für erforderlich erachtet werden, um die seit dem Inkrafttreten des StGB 1975 eingetretenen Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Werte und Haltungen, aber auch des technischen Fortschrittes im gerichtlichen Strafrecht so abzubilden, dass es auf gesellschaftliche Akzeptanz und Verständnis stößt und auf diese Weise in vollem Umfang die erforderliche Präventionswirkung entfalten kann“. Eine „große“ Strafrechtsreform lässt sich unter diesem zeitlichen Korsett nicht verwirklichen: Während die von Broda eingesetzte Kommission von 1954 bis 1960 zu 140 Arbeitssitzungen zusammentraf, konnte die nunmehrige Arbeitsgruppe bloß 15 Sitzungen abhalten. Unbestritten ist auch, dass das StGB 1975 nach wie vor eine epochale Kodifikation darstellt.

Dennoch hat die Arbeitsgruppe Hauptanliegen des Auftrags erledigt, nämlich Delikte gegen Leib und Leben gegenüber Delikten gegen fremdes Vermögen aufzuwerten. Darüber hinaus wurde der juristisch-technisch komplexe Bereich der Cyberkriminalität eingehend behandelt und ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein gegenüber Verletzungen der Privat- und Intimsphäre durch eine neue Bewertung des Unrechts von Einbruch in Wohnungen und den Vorschlag der Einführung eines neuen Tatbestandes gegen Cybermobbing berücksichtigt. Die wesentlichen Vorschläge:
•Erhöhung der Wertgrenzen von derzeit 3000 auf 5000 und von 50.000 auf 300.000 Euro (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren erst ab diesem Betrag);
•Reform der Gewerbsmäßigkeit: Für die „berufsmäßige Begehung“ soll erforderlich sein, dass in den letzten zwölf Monaten zumindest zwei solche Taten begangen wurden und die Absicht besteht, durch wiederkehrende Begehung ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu erzielen, samt Reduktion der Freiheitsstrafe für diese Qualifikation bei Diebstahl und Betrug auf drei Jahre (bisher sechs Monate bis fünf Jahre);
•Senkung der Strafdrohung für Fälle des Einbruchsdiebstahls, die keinen Einbruch in eine Wohnung oder mit einer Waffe bedeuten;
•Stärkere Berücksichtigung der Intimsphäre durch Entfall der Aufzählung der Rechtsgüter bei der Definition der gefährlichen Drohung, um auch Fälle erfassen zu können, in denen etwa mit dem Outing oder dem Bekanntmachen von Krankheiten gedroht wird;
•Senkung der Strafdrohung für einfache Körperverletzungen mit Misshandlungsvorsatz von einem Jahr auf sechs Monate;
•Erhöhung der Strafdrohung für die schwere Körperverletzung auf sechs Monate bis fünf Jahre und Einführung der Voraussetzung eines zumindest bedingten Vorsatzes auf die Schwere der Verletzung;
•Reform der Tatbestände gegen Cybercrime; Einführung einer Qualifikation betreffend kritische Infrastruktur; Strafrechtliche Erfassung von Bot-Netzwerken (heimlich installierte Programme, die auf vernetzten Rechnern mitlaufen, Anm. d. Red.) und Erweiterung des Tatbestandes betreffend Hacking;
•Einführung einer neuen Strafbestimmung „Ausspähen von Daten eines unbaren Zahlungsmittels“, um alle strafwürdigen Fälle, wie das Herauslocken von Kreditkartendaten, erfassen zu können;
•Einführung einer neuen Strafbestimmung Cybermobbing, weil dieses Phänomen weitreichende Folgen für die Opfer hat und immer häufiger auftritt.

Berücksichtigt man, dass nach dem Sicherheitsbericht 2013 Verurteilungen überwiegend wegen Vermögensdelikten erfolgten (36 Prozent), so würde sich die Reform der Gewerbsmäßigkeit und die Anhebung der Wertgrenzen auf die Anzahl und Höhe der verhängten Freiheitsstrafen stärker auswirken als die Erweiterung der Strafrahmen im Bereich der Delikte gegen Leib und Leben, die nur 19 Prozent der Verurteilungen erfassen.

Sicher hat die Arbeitsgruppe andere wichtige Bereiche nicht oder nicht ausführlich genug behandeln können – insbesondere die Untreue. Das Strafrecht kann freilich keinen Beitrag zur Änderung der zivilrechtlichen Verpflichtungen leisten, weil hier die Aufgaben und Befugnisse klar umschrieben sind und durch Compliance Codes ergänzt werden. Die Arbeitsgruppe hat auch betont, dass Handlungen im Zusammenhang mit der Verwirklichung des normalen unternehmerischen Risikos nicht unter den Begriff des Missbrauchs fallen. Zu diskutieren ist daher vor allem die praktische Anwendung.

Zu anderen „besonders problematischen Vorschlägen“ (Schwaighofer): Der unterschiedlichen Intensität des Vorsatzes in § 83 Abs1 StGB (Verletzungsvorsatz) und in §83 Abs2 (lediglich Misshandlungsvorsatz) ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Strafdrohung in den Fällen des Abs 1 bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe, und in Fällen des Abs 2 bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe betragen soll.

Die vorgeschlagene Erhöhung der Strafdrohung für die schwere Körperverletzung ist angesichts des nunmehr geforderten Vorsatzes, der sich auch auf die Schwere der Tat beziehen muss, gerechtfertigt. Und schließlich, gerade weil Schwaighofer die Anwendung der „fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen“ kritisiert, rechtfertigt er selbst den vorgeschlagenen Übergang auf „grobe Fahrlässigkeit“.


Mag. Christian Pilnacek ist Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium und hat die Arbeitsgruppe StGB 2015 geleitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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