K.u.k. Armee: „Man mache diese Leute nieder“

Wikipedia
  • Drucken

Geiselnahmen, Strafexpeditionen, Deportationen, Internierungen und Erschießungen – Kriegsverbrechen oder berechtigte Sicherheitsmaßnahmen? Die k.u.k. Armee erwies sich bei ihrem letzten Waffengang 1914 bis 1918 als ein gnadenloser Machtapparat.

Ein Mann aus Mitteleuropa reist in den Balkan, bald wird ihm die Region, vor allem Serbien, „so lieb wie die Heimat“. Es ist gerade Krieg, der Mann wird zum glühenden Vertreter der serbischen Sache und trägt den Opfermythos dieses Volks in die Welt hinaus. Nein, nicht der berühmte Peter Handke ist gemeint, sondern ein heute unbekannter Schweizer Kriminologe namens Rudolf Archibald Reiss.

Er zählt seit hundert Jahren zu den nationalen Heroen in Belgrad, vor seinem Denkmal finden regelmäßig Gedenkfeiern statt. Reiss ging 1914 nach Serbien, um sich als neutraler Beobachter ein Bild vom Krieg zu machen. Seine Neugier wich bald der Empörung über die Gräueltaten, die er sah und als passionierter Fotograf dokumentierte. 1915 notierte er in sein Tagebuch: „Belgrad. Die Krankenhäuser wurden heute vier Mal bombardiert. Österreich-Ungarn führt einen totalen Krieg, d.h. es will das ganze serbische Volk ausrotten.“ Im selben Jahr wurde sein Bericht „Wie die Österreicher und Ungarn in Serbien Krieg führten“ in England, Frankreich und der Schweiz verbreitet. Seine Vorwürfe: Die österreichisch-ungarischen Behörden hätten Übergriffe und Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht planmäßig organisiert, die Bevölkerung ihrer Länder verhetzt und damit auf die „Hinrichtung des lästigen Nachbarn“ vorbereitet.

Es war nicht schwer, dem deklarierten Serbenfreund Reiss Parteilichkeit vorzuwerfen und der Nachweis, Österreichs Behörden hätten Kriegsverbrechen „planmäßig organisiert“, kann von Historikern auch heute nicht eindeutig erbracht werden. Doch die Radikalisierung des Krieges am Balkan, das rücksichtslose Vorgehen der k.u.k. Truppen, die Übergriffe und Gräueltaten waren bemerkt worden. 1914/1915 konzentrierte sich das Interesse der europäischen Öffentlichkeit freilich – wie übrigens auch das der historischen Forschung seither - auf den „Hunnenfeldzug“ der deutschen Armee durch Belgien und Frankreich, der tausende Zivilisten das Leben kostete und zur Zerstörung wertvoller Kulturdenkmäler führte. Die neue Front war damit eröffnet: der Propagandakrieg.

"Wilde Völker"

Mit Leichtigkeit lösten sich viele Länder im Ersten Weltkrieg von den völkerrechtlichen Auflagen, die sie kurz zuvor – etwa in der Haager Landkriegsordnung - noch eingegangen waren. Mochten vor dem Krieg viele Europäer gewaltsame Übergriffe gegen Zivilisten nur den „mittelalterlichen“, „wilden“ Völkern am Balkan zugetraut haben, nun handelten sie selbst unumwunden nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Illegitime Gewalt gegenüber Zivilisten gab es bei allen Kriegsparteien. Unter dem Vorwand des eigenen Sicherheitsbedürfnisses wurden die bestehenden ethnischen Feindbilder radikalisiert.

Zu besonderer Brutalität hauptsächlich an den multikulturellen Grenzen, am Balkan und an der russischen Front, neigte die österreichisch-ungarische Armee. Ein Historikerteam rund um Hannes Leidinger hat vor kurzem anlässlich des Jubiläumsjahres historische Abhandlungen zum Thema „Habsburgs schmutziger Krieg - Ermittlungen zur österreichisch-ungarischen Kriegsführung 1914-1918“ veröffentlicht. Akribisch werden in dem gut lesbaren Buch mit dem kriminologischen Untertitel die Quellen ausgewertet. In der Kriegsschuldfrage wenden sich die Autoren gegen Christopher Clarks „gesamteuropäische Proporzlösung der geteilten Schuld“, Österreich-Ungarn habe sich vergleichsweise konsequent auf den Weg der militärischen Konfrontation begeben, die Fixierung auf den südöstlichen Nachbarn habe obsessive Züge erlangt.

Truppen in Sabac, Serbien
Truppen in Sabac, Serbien(c) imago stock&people (imago stock&people)

Seit den Balkankriegen 1912/13 verbreiteten sich in ganz Europa Nachrichten über die barbarische, vorzivilisatorische Methode, mit der die Völker in dieser Region einander abschlachteten: „Das finstere Mittelalter grinst uns an“. Auch 1914 wurden für die Gräueltaten vor allem Freischärlerverbände verantwortlich gemacht, etwa die serbischen Komitatschi, Guerillakämpfer, die vor allem aus dem Hinterhalt agierten und nicht in regulären Uniformen kämpften. Für die k.u.k Truppen war diese unkonventionelle Kampfmethode undurchsichtig und verwirrend, der Feldzug gegen Serbien verlief desaströs, die geplante schnelle Strafexpedition scheiterte. Unter den verunsicherten Soldaten griff eine Komitatschi-Psychose um sich, die zur Radikalisierung der Kriegsführung beitrug. Ähnlich wie bei den Deutschen in Belgien gaben die überraschten Offiziere serbischen Zivilisten die Schuld, die sich illegal an den Kämpfen beteiligten. „Einer solchen Bevölkerung gegenüber ist jede Humanität und Milde höchst unangebracht, ja verderblich“ (General Lothar von Hortstein), daher sei jeder Einheimische außerhalb einer Ortschaft als Bandenmitglied zu betrachten: „Man mache diese Leute, wenn sie halbwegs verdächtig erscheinen, nieder.“ Kommandeure forderten ihre Soldaten auf, jeden Gefangenen niederzumetzeln, keine Milde gegenüber den serbischen Barbaren zu zeigen.

Bereits im August 1914 kam es zu mehreren Massakern an serbischen Zivilisten mit bis zu 4000 Toten, sie wurden nicht angeordnet, aber geduldet. Ein spontaner Blutrausch „in der Hitze des Gefechts“ bei einfachen Truppenangehörigen war das nicht, der Boden für die Gewalteskalation war ideologisch durch den Verbalradikalismus der Kommandeure vorbereitet. Die Soldaten waren von der stereotypen Propaganda, die die Serben als hinterlistig, grausam und fanatisiert darstellte, geradezu infiltriert.

Bilder des Grauens

Das Militär ging aber nicht nur gegen Serben, sondern auch gegen die eigenen habsburgischen Untertanen mit äußerster Brutalität vor. An der russischen Front, in Galizien und der Bukowina, wurden zahlreiche ruthenische (ukrainische) und jüdische Zivilisten unter dem Verdacht der Spionage hingerichtet. Die öffentlich auf den Marktplätzen sichtbaren Gehenkten und Erschossenen sollten der Abschreckung dienen, Bilder des Grauens, wie sie der am Krieg zerbrechende Lyriker Georg Trakl schildert: „Eine Gruppe unheimlich regungslos beisammenstehender Bäume, an deren jedem ein Gehenkter baumelte. Ruthenen, justifizierte Ortsansässige.“ Die Armee kannte keine Milde, verdächtigte mehr oder weniger die gesamte galizische Bevölkerung der staatsfeindlichen Russophilie und verhängte an die 5000 Todesurteile, meist wegen kaum bewiesener „verräterischer Umtriebe“. Hunderte Ruthenen wurden zwangsdeportiert und in das Internierungslager Graz-Thalerhof gebracht. Eine Gruppe von jungen Mädchen wurde inhaftiert, weil sie einem Zug russischer Kriegsgefangener zuwinkte.

Die Gnadenlosigkeit der Militärbehörden kam auch dem greisen Kaiser in Wien zu Ohren und er tat kund, dass er keine Barbarisierung der Kriegsführung billige, sondern bei aller Strenge der Kriegsführung auch auf „tunlichste Schonung“ Wert lege. Doch der Versuch, die k.u.k. Armee zu Mäßigung und Schonung Unschuldiger aufzurufen, blieb erfolglos. Das Oberkommando konnte sich auf das Notverordnungsrecht stützen, eine besondere Ermächtigung, die alle politischen Delikte der Gerichtsbarkeit der Armee unterstellte. So wurden nicht nur die Frontgebiete, sondern auch das Hinterland von ihr kontrolliert. Franz Joseph milderte die skandalösen Todesurteile in den ruthenischen Hochverratsprozessen zu Kerkerstrafen ab, die galizischen Bauern waren doch stets kaisertreu gewesen. Sein Nachfolger Karl machte sich bei der Offizierskaste durch Amnestien unbeliebt.

Für die Aufarbeitung der Kriegsgräuel erschien kein Zeitpunkt geeignet, und so fand sie nicht statt. Die Republik von 1918, der verschwindend kleine Rest der großen Donaumonarchie, konnte wohl nicht für Untaten der k.u.k. Armee verantwortlich gemacht werden, eine Opfertheorie, die wegen großen Publikumserfolgs 1945 gleich ein da capo erfuhr. In der Zweiten Republik wäre ein Hinweis auf Untaten der guten alten Zeit der tourismusgerechten Inszenierung des kaiserlichen Österreich im Wege gestanden. Das Gedenkjahr 2014 bietet sich daher an für eine „Wende sowohl aus geschichtswissenschaftlicher als auch aus erinnerungskultureller Sicht“, so Hannes Leidinger am Ende seiner Abhandlung über die schmutzigen Seiten des letzten Waffenganges des Habsburgerreiches. Zumindest kann man der Armee keinen Völkermord vorwerfen, das besorgten die Türken 1915, die die Armenier hinschlachteten. Das österreichische Außenministerium intervenierte damals beim Kriegsverbündeten „zugunsten der armenischen Frauen und Kinder.“ Immerhin.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.