„Sitzfleisch“: „Opa sudert und Oma schweigt“

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Die 24-jährige Wienerin Lisa Weber hat ihre Großeltern bei der Urlaubsfahrt zum Nordkap begleitet und daraus einen Film mit dem schönen Titel „Sitzfleisch“ gemacht. Der „Presse“ erzählte sie vom Aufnahmeprozess und der Notwendigkeit, einander auszuhalten.

Wenn man böse sein möchte, könnte man behaupten, Sie hätten einen Urlaubsfilm ins Kino gebracht – wobei „Sitzfleisch“ natürlich mehr ist als nur ein Homevideo. Wann hatten Sie die Idee, Ihre Großeltern mit der Kamera bei einer Reise zu begleiten?

Ursprünglich habe ich bei der Sache nicht die Absicht verfolgt, einen Kinofilm zu drehen. Ich wollte einfach einmal mitfahren und schauen, was passiert. Es war zwar immer klar, dass ich etwas aufnehmen und schneiden werde, das ich bei der Filmakademie zur Benotung einreichen kann, da hätte aber auch ein Zehnminüter gereicht. Schließlich gab es dann so viel gutes Material, dass ich mir einen Cutter gesucht habe – Roland Stöttinger –, um die Aufnahmen gemeinsam für ein breiteres Publikum aufzubereiten. Die Dramaturgie ist dann erst im Schnitt entstanden.


Ihre Großeltern scheint es fast gar nicht zu stören, dass sie ständig gefilmt werden, sie wirken sehr natürlich. Sind sie das schon von Ihnen gewohnt?

Ja. Ich bin schon seit ich dreizehn bin die mit der Kamera, sie kennen das. Technisch war es diesmal aber ausgeklügelter, wir haben zur Vorbereitung sogar eine Testfahrt ins Waldviertel gemacht. In der Früh mussten sie immer mit Funkmikros verkabelt werden – ich bin ihnen sehr dankbar dafür, dass sie das alles mitgemacht haben. Und ich glaube, wenn ich schon im Voraus eine klare Vorstellung von dem gehabt hätte, was ich sehen will, dann hätten sie das bestimmt gespürt und wären nicht so entspannt gewesen. Aber sie hatten ja nicht das Gefühl, dass sie sich für mich verstellen müssen. Deswegen fragt mich mein Großvater im Film oft, warum ich denn nicht die Landschaft filme – er meint, das wäre ein spannenderes Motiv als er.


Hatten Sie die Kamera immer und überall dabei?

Im Auto war ich immer in Bereitschaft, wir sind ja jeden Tag fünf, sechs Stunden gefahren. Da war die Kamera zwischen Sitzen und Decke eingeklemmt, und ich habe sie ab und zu eingeschaltet. Manchmal musste ich darum bitten, auf mich und mein Equipment zu warten, zum Beispiel, als die Elche auf der Straße standen. Im Nachhinein würde ich aber noch viel mehr filmen – die interessantesten Diskussionen sind oft erst entstanden, als ich die Aufzeichnung schon beendet hatte.


Ihr jüngerer Bruder Lukas ist auch mit von der Partie. War es bei ihm anders?

Ich habe bis heute keine Ahnung, warum er sich bereiterklärt hat mitzufahren, aber ich bin sehr froh darüber. Er hatte damals frisch maturiert und wollte wohl einfach Schweden, Finnland und Norwegen sehen, ohne ihn wäre es jedenfalls nicht gegangen. Einerseits hat er mit seinen Englischkenntnissen als guter Enkelsohn große logistische Hilfe geleistet, aber auch bei Streitereien geschlichtet und mir so das Drehen erleichtert.


Waren Sie nie überfordert?

Es gab schon Tage, an denen ich mir gedacht habe: Warum sind wir jetzt eigentlich da – wenn der Opa die ganze Zeit nur sudert, die Oma gar nichts mehr sagt, und man auf der Rückbank sitzt und sich das anhören muss?


Aber genau das macht den Film so einnehmend, weil man diese Situationen aus eigener Erfahrung kennt. Sie haben den Film auch auf internationalen Festivals gezeigt, wie ist er dort angekommen? Er lebt ja stark vom Dialekt und dem doch sehr österreichischen Charakter der Porträtierten.

Der Wortwitz lässt sich natürlich nicht übertragen, aber ich war positiv überrascht, wie gut es funktioniert hat. Egal wo wir waren, jeder hat seinen eigenen Film gesehen, und oft haben dann wildfremde Leute begonnen, mir bei Publikumsgesprächen von sich selbst oder von ihren Eltern und Großeltern zu erzählen. Ich finde es schön, dass der Film offen genug ist, dass sich überall Menschen darin wiederfinden können. Deshalb habe ich auch versucht, moralische Wertungen zu vermeiden, und mehr auf Beobachtungen gesetzt. Es wäre ja anmaßend, als Enkelin ein Urteil über die Beziehung seiner Großeltern zu fällen.


Was hält eigentlich das Protagonistenpaar vom fertigen Film?

Die beiden haben interessanterweise damit gerechnet, dass es ein klassischer Urlaubsfilm wird, was mir ein Rätsel ist – sie wussten ja, was ich aufnehme. Bei der ersten Sichtung haben sie ihn auch so behandelt und alles kommentiert. Aber in den Szenen, in denen ich mit ihnen allein bin und sie frage, wie sie sich noch aushalten nach so langer Zeit, wurde es etwas unangenehm, und mein Opa ist zum Rauchen rausgegangen. Ich hab ihm dann angeboten, die Stellen rauszunehmen, doch das wollte er auch nicht – er möchte einfach nur nicht darüber reden. Das ist, als würde man in den Spiegel schauen: Manchmal sieht man halt nicht so gern hin. Wirklich stört ihn am Ende aber nur, dass ich nicht zeige, was ihn persönlich während der Reise aufgeregt hat.


Und was war das?

Dass wir in der Früh nie rechtzeitig aufgestanden sind, das hätte er gern im Film gehabt. Aber wie hätte ich das aufnehmen sollen?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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