Blinde Anwältin? "Nicht einmal mehr Absagen"

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Fertige Juristin findet keine Möglichkeit, abseits des öffentlichen Dienstes juristisch zu arbeiten.

Wien. Wenn Susanne Sulzbacher sich zu ihrem morgigen Geburtstag etwas wirklich Wichtiges wünschen dürfte, dann wäre das wohl ein Vorstellungsgespräch in einer Anwaltskanzlei. Schon lang bemüht sich die fertige Juristin mit absolviertem Gerichtsjahr darum, doch im Moment bekommt sie auf entsprechende Anfragen nicht einmal mehr Absagen. Sulzbacher ist blind. Aber sie denkt noch lang nicht daran zu resignieren: „Sollte ich meine gläserne Decke erreicht haben, würde ich mir eher bei dem Versuch, diese zu durchstoßen, ein Schädel-Hirn-Trauma holen, als aufzugeben“, sagt Sulzbacher drastisch.

Fotografisches Gedächtnis

Wie das funktioniert, als Blinde mit juristischen Texten umzugehen? Druckschrift kann ganz einfach digitalisiert und entweder vom Computer vorgelesen oder in Brailleschrift übertragen werden. Um mit der Suche in bereits gelesenen Texten nicht zu viel Zeit zu verlieren, hat Sulzbacher sich ein „fotografisches Gedächtnis“ antrainiert. „So geht's schneller, weil ich die Dinge weiß.“ Bloß mit handschriftlichen Texten kommt Sulzbacher nicht allein zurecht; da braucht sie eine persönliche Assistenz, die ihr vorliest.

Was nur die wenigsten wissen: Die Kosten für die blindenspezifische technische Anpassung eines Arbeitsplatzes und die persönliche Assistenz werden zur Gänze vom Sozialministerium übernommen. Sulzbacher kostet also nicht mehr als eine sehende Kollegin, ganz im Gegenteil. Da das AMS auch die Anstellung selbst fördert, ist sie sogar billiger. Ein Arbeitgeber müsste bloß eine Vorlaufzeit von ein paar Wochen akzeptieren, die es Sulzbacher ermöglicht, die technische Infrastruktur aufzubauen und eine Assistenzperson zu engagieren.

Wie Sozialarbeiterin tätig

Die geborene Niederösterreicherin– sie wird morgen 34 – hat in Wien Jus mit Schwerpunkt Medizinrecht studiert. Nach dem Gerichtsjahr hat sie als juristische Mitarbeiterin im Büro des Behindertenanwalts gearbeitet. Aufgehört hat sie damit, weil ihr dort die sozialarbeiterische Komponente zu stark, die juristische aber zu schwach war. Daher auch ihr Wunschberuf: Rechtsanwältin.

Während es in den USA oder Deutschland zahlreiche blinde Anwälte gibt, sind in Österreich gerade einmal zwei Fälle von mehr oder weniger stark Sehbehinderten bekannt. Sulzbacher aber hat kein Sehvermögen. Einzig beim vor einem Jahr neu gegründeten Bundesverwaltungsgericht sind zwei blinde Richter tätig. Doch Sulzbacher will nicht glauben, dass der öffentliche Dienst die einzige Option für blinde Juristen ist.

Auch in der Wirtschaft werden heute Personen mit Erfahrungen in Anwaltskanzleien bevorzugt. „Da beißt sich die Katze in den Schwanz: Ohne vorher in einer Kanzlei tätig gewesen zu sein, bekomme ich keine juristisch interessante Stelle, aber keine Kanzlei will mich anstellen“, so Sulzbacher. Das Echo auf einen Beitrag in einer Zeitschrift für Anwälte, der auf Sulzbachers Suche hinwies, war sehr enttäuschend: null. [ Mirjam Reither ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2015)

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