Gerichtsgebühren zu hoch: „Es fehlen uns Prozesse“

Gerhard Jelinek
Gerhard JelinekDie Presse
  • Drucken

Gerhard Jelinek, neuer Präsident des Oberlandesgerichts Wien, fordert eine Senkung der Gerichtsgebühren. Bei Richtern, die ihre Emotionen nicht beherrschen können, wünscht sich Jelinek stärkere Sanktionen.

Die Presse: Die Richter ließen kürzlich Verhandlungen ausfallen, weil der Gesetzgeber die Entlohnung der Beamten reformiert hatte und Richter Einbußen befürchteten. Sind Rechtsstaat und Richter der Politik genug wert?

Gerhard Jelinek: Ich glaube nicht, dass die Novelle gezielt gegen die Richter gerichtet war. Der Unmut über die Novelle ist durch die große Eile entstanden. Die andere Frage ist, ob der Rechtsstaat der Republik generell genug wert ist. Ich würde mir schon wünschen, dass wir uns, ähnlich wie in anderen Staaten, nicht durch Gebühren selbst finanzieren müssen. Sondern dass man Gebühren so ansetzt, dass sie keine übergroße Eintrittsschwelle darstellen. Dass also der Finanzminister genug Budgetmittel zur Verfügung stellt, um die Justiz nicht nur über Gebühren zu finanzieren.

Wie hoch sollten die Gerichtsgebühren sein?

Derzeit sind sie zu hoch. Die Gebühren steigen linear, egal wie hoch der Streitwert ist, und sie steigen pro Instanz exorbitant an. Ins Familienrecht hat man ein bisschen zu sehr hineingegriffen.

Lassen sich Bürger durch hohe Gebühren davon abschrecken, ihre Ansprüche zu verfolgen?

Da sind wir im Bereich des Spekulativen. Aber in den letzten zwei, drei Jahren ist der Anfall in Zivilrechtssachen deutlich zurückgegangen. Es hat eine Wertgrenzennovelle gegeben, die Zuständigkeiten von den Landesgerichten zu den Bezirksgerichten verschoben hat. Sie hat zu einer deutlichen Reduzierung der Anfallszahlen bei den Landesgerichten geführt, aber bei den Bezirksgerichten nicht zu einer Erhöhung. Es fehlen uns Prozesse. Nun gibt es mittlerweile sehr viele alternative Streitschlichtungsmöglichkeiten, aber den so drastischen Rückgang kann man schon in Zusammenhang bringen mit der Erhöhung der Gebühren. Problematisch ist auch, dass die Verteidigerkosten nach Freisprüchen nur zu einem Teil erstattet werden, nämlich nur im Bereich von zehn Prozent der tatsächlichen Kosten.

Sollten sie zu 100 Prozent ersetzt werden?

100 Prozent sind vielleicht ein bisschen zu viel. Den Ersatz gibt es ja auch bei Freisprüchen im Zweifel. Aber ein doch deutlich höherer Kostenersatz wäre angebracht.


Wie viel sollten Richter verdienen? In Deutschland beginnt ein Richter ähnlich wie bei uns mit 3600 Euro. Dort gibt es eine Klage vor dem Verfassungsgericht, weil Richter bei diesem Gehalt nicht unabhängig sein könnten. Haben Sie Verständnis für so eine Klage?

Nein. Ich glaube zwar schon, dass wir hoch qualifizierte Arbeit leisten, die natürlich auch etwas kostet. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir so unterbezahlt sind, dass man sagen könnte: Wir sind generell als Dienstgeber unattraktiv. Nicht zufrieden bin ich aber damit, dass wir in der ordentlichen Gerichtsbarkeit deutlich weniger bekommen als bei den Verwaltungsgerichten. Und Rechtspraktikanten bekommen beschämend wenig.

Haben Sie das Gefühl, dass die Justiz in der Bevölkerung ein gutes Image hat?

Das Image wird maßgeblich geprägt von der Berichterstattung über Strafverfahren und über die Staatsanwaltschaften. Es steigt in dem Moment, in dem ein paar Prominente verfolgt oder verurteilt werden. Dann ist die Volksseele befriedigt. Sieht man von den saisonalen Schwankungen ab, ist das Image der Justiz gut.

Wie sehr denkt man als Richter beim Urteil an die Volksseele?

Ich hoffe: gar nicht. Ich habe bei meinen Urteilen nie an so etwas gedacht, und wir investieren sehr viel in die Ausbildung der Richteramtsanwärter, damit das nicht passiert. Ich glaube, das gelingt uns auch.

Es bewerben sich sehr viele Frauen um den Richterberuf. Könnte ein Frauenüberhang auch einmal zum Problem werden?

Nein. Wir beobachten jetzt schon ungefähr zehn Jahre, dass relativ konstant zwei Drittel der Richteramtsanwärter weiblich sind. Das gleiche Verhältnis besteht bei den Rechtspraktikanten, die sich überhaupt für das Richteramt interessieren. Außerdem sind wir für Frauen ein sehr attraktiver Beruf, weil es die Möglichkeiten Teilzeit, Halbauslastung, Karenz und so weiter in sehr vielen Schattierungen gibt. Das ist für Frauen sehr anziehend, daher investieren sie im Übernahmeverfahren sehr viel und bringen sehr gute Prüfungsleistungen. Zu einem Problem könnte es erst werden, wenn wir uns bei 90Prozent Frauenanteil einpendeln.

Eine Zeit lang wurden ja Frauen für das Richteramt bevorzugt. Werden irgendwann Männer bevorzugt werden müssen?

So weit sind wir nicht. Gerade in den Führungspositionen gibt es noch viel Aufholbedarf für Frauen.

Mit der Ernennung eines Richters fällt eine Entscheidung für die Lebenszeit. Sind Sie mit dem Auswahlverfahren zufrieden?

Im Großen und Ganzen ja. Es könnte immer noch besser sein. Mir wäre eine Verlängerung der Gerichtspraxis lieb. Am Herzen liegt uns auch die persönliche Eignung. Aber hier ist eine valide Einschätzung schwierig. Auch wenn ich Leute zwei Jahre beobachten könnte, würden wir in zehn Jahren trotzdem wieder ein paar haben, bei denen ich mir denke: Hätten wir die Finger von ihnen gelassen.

Seit einiger Zeit werden auch Disziplinarverfahren gegen Richter anonymisiert veröffentlicht. Man sieht: Es gibt auch schwarze Schafe unter den Richtern.

Ja, das ist nicht zu beschönigen. Wir versuchen dem auch, wo wir es sehen, sofort Einhalt zu gebieten. Wir wissen, dass unser Vertrauen in der Bevölkerung maßgeblich davon abhängt, ob wir mit disziplinären Fragen angemessen und konsequent umgehen.

Tun Sie es?

Ja, im Großen und Ganzen funktioniert die Diszplinargerichtsbarkeit. Manchmal würde ich mir wünschen, dass man das mangelnde Beherrschen von Emotionen etwas stärker sanktioniert als das Verhalten von Richtern, die ihr Pensum nicht erfüllen. Das ist meine persönliche Meinung.

Der Rechnungshof kritisiert, bei der Auswahl von Justizverwaltungsorganen wie Gerichtspräsidenten würde zu wenig auf Managementqualitäten geachtet; die Organe würden ihre Steuerungsaufgabe teilweise unzureichend ausüben. Stimmt das?

Zuletzt wurden mehrere Managementfunktionen – auch meine – unter Vorgabe eines klaren Anforderungsprofils ausgeschrieben. Richtig ist, dass es das früher nicht gegeben hat. Dass Justizverwaltungsorgane, die meist auch selbst judizieren, die Dienstaufsicht teilweise unzureichend ausgeübt haben, mag stimmen. Oft scheuen sie sich, den rechtsprechenden Richtern höhere Rechtsprechungsanteile aufzuhalsen und sich selbst mehr der Justizverwaltung zu widmen. Dabei erfordert fürsorgende, proaktive Dienstaufsicht, die Problemfelder rechtzeitig erkennen will, auch einen hohen Zeitaufwand. Deshalb sollten die Justizverwaltungsquoten künftig gesetzlich geregelt und streng eingehalten werden.

Was hielten Sie davon, Richter als Justizverwaltungsorgane nur auf Zeit zu bestellen?

Das hätte durchaus Vorteile und sollte ernsthaft diskutiert werden. Allerdings muss man das Thema sehr behutsam unter dem Aspekt der Unabhängigkeit betrachten.

Nun soll Claudia Bandion-Ortner wieder ans Gericht zurückkehren. Ist ihre Aussage, dass in Saudiarabien „nicht jeden Freitag geköpft wird“, verharmlosend und in Ihren Augen ein Grund für eine Disziplinarstrafe?

Es gibt eine Disziplinaranzeige. Das Disziplinargericht wird das richtig beurteilen. Ich habe schon mit ihr persönlich gesprochen. Sie fühlt sich da missinterpretiert. Sie wollte in keiner Art und Weise die Todesstrafe verharmlosen.

Wird es gut funktionieren, wenn eine frühere Justizministerin wieder Richterin wird? Wird sie von der Kollegenschaft gut aufgenommen werden?

Das wird sehr von ihr selbst abhängen. Vor ihrer Ministertätigkeit war sie eine sehr beliebte Kollegin.

Oft kommt auch der Vorwurf, dass Urteile unverständlich abgefasst sind. Muss man Urteile verständlicher formulieren?

Wir versuchen, Jungrichtern durch Sprachseminare klarzumachen, dass sie die Urteile für die Bevölkerung zu schreiben haben und nicht für die Anwälte oder die nächste Instanz. Allerdings geht der Vorwurf bis zum Gesetzgeber. Komplizierte Gesetze anwenden zu müssen und dann im Urteil einfach darzustellen ist halt nicht so leicht.

ZUR PERSON

Gerhard Jelinek (58) ist seit Jahresbeginn Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Wien, eines der vier OLG in Österreich. Zuvor war Jelinek Vizepräsident. Bevor er Richter wurde, arbeitete Jelinek als Studienassistent für Handelsrecht an der Uni Wien und als Rechtsanwaltsanwärter. 1984 wurde er zum Richter ernannt, seit 1995 arbeitet er am OLG im Wiener Justizpalast. Jelinek ist mit der Vorsteherin des Bezirksgerichts Baden verheiratet und hat drei Kinder sowie drei Enkelkinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.