Kein Ersatz für zu „indirektes“ Leid

Bremsspur auf einer Strasse
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Weil die Mutter nach dem Tod eines Sohnes verzweifelt ist, hat auch das zweite Kind gelitten: Es erhält aber kein Schmerzengeld.

Wien. Auch wer durch sein Fehlverhalten indirekt einen Schaden verursacht, muss unter Umständen dafür einstehen. Über die Jahre entwickelte der Oberste Gerichtshof (OGH) hier eine Rechtsprechung zu Unfällen, die immer weiter ging. In einer aktuellen Entscheidung aber betont der OGH, dass diese Schadenersatzpflicht an Grenzen stößt.

1994 erhielt erstmals jemand Schmerzengeld, obwohl er nicht in den Unfall verwickelt war. Er musste ansehen, wie ein naher Angehöriger verletzt wurde. 2001 klagte erstmals jemand erfolgreich auf Schadenersatz, der den Unfall nicht mit ansah. Der Mann hatte, nachdem er vom Tod seines Kindes erfahren hatte, einen Kollaps erlitten. Und 2013 gab es zum ersten Mal Schadenersatz nach einer Unfallnachricht, obwohl der Betroffene den Unfall weder mitansehen musste noch jemand gestorben war. Ein Mann hatte aber die Nachricht, laut der seine Frau in Lebensgefahr schwebte, schlecht verkraftet und psychische Probleme erlitten.

Im aktuellen Fall war eine Mutter nach dem Tod ihres 17-Jahre alten Sohnes schockiert. Er war Beifahrer auf einem Motorrad, das in einen Unfall mit einem Auto verwickelt wurde. Am Steuer des Autos saß ein Mann, der keinen Führerschein hatte und in Wien doppelt so schnell unterwegs war wie erlaubt. Der 17-Jährige auf dem Motorrad, der seinen Helm nicht korrekt unter dem Kinn fixiert hatte, wurde weggeschleudert. Er erlitt schwere Schädelverletzungen und starb.

Die Mutter musste im Spital den Tod des Sohnes hautnah miterleben. Sie litt fortan an Schlafstörungen, war lustlos, traurig und verzweifelt. Der Frau wurde Schmerzengeld zugesprochen. In dem Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) stand nun nicht mehr die Mutter, sondern ihr zweiter Sohn (der Halbbruder des Getöteten) im Fokus. Er war zehn Jahre alt, als das Unglück geschah, und ebenfalls Leidtragender.

Trauer: Kind vernachlässigt

Ihn nahm aber weniger der Tod des Halbbruders mit. „Eine auffallende Trauerreaktion diesbezüglich konnte bei ihm nicht festgestellt werden“, konstatierte schon das erstinstanzliche Wiener Landesgericht. Aber das Kind belastete es sehr, dass seine Mutter sich wegen ihrer Probleme infolge des Unfalls nicht mehr genug um die Bedürfnisse des Zehnjährigen kümmerte. Dies führte zu einer Störung der Beziehung zwischen Kind und Mutter, die zusammen lebten. Und es hatte emotionale Störungen mit Krankheitswert beim Sohn zur Folge. 7000Euro Schmerzengeld wurden für ihn deswegen eingeklagt.

Landesgericht und Oberlandesgericht (OLG) Wien wiesen die Klage ab. Die Probleme des Zehnjährigen würden nämlich auf „keinen nach allgemeiner Lebenserfahrung typischen Geschehensablauf“ nach dem Unfall beruhen. Das OLG ließ aber die Revision an den OGH zu, weil das Höchstgericht noch nie gesagt habe, wie man in so einem Fall vorzugehen habe.

Das Ungemach des Zweitklägers (also des Buben) sei nur mittelbar durch den Unfall entstanden, betonte der OGH. In solchen Fällen könne es nur dann Ersatz geben, wenn schon die Erstklägerin (also die Mutter) eine „schwerste“ Verletzung erlitten habe. Das sei hier aber nicht der Fall.

Diese Rechtsansicht hätte man schon aus seiner bisherigen Judikatur ableiten können, befand der OGH (2 Ob 215/14b). Der Sohn erhält kein Schmerzengeld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2015)

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