Vertrauensarzt ausgewechselt: Spital muss zahlen

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Auch ohne freie Arztwahl muss der Wille des Patienten geachtet werden: Sonst droht selbst ohne jeden Fehler eine Haftung.

Wien. Gehören auch Sie zu den rund 2,5 Millionen Österreichern mit privater Krankenversicherung, obwohl es die berüchtigte Zweiklassenmedizin nach dem Gesetz nicht gibt? Neben der „Hotelkomponente“ in Privatkliniken und der Sonderklasse geht es den freiwillig Versicherten primär um die Behandlung durch den Arzt des Vertrauens. Mündige Patienten suchen nach erfahrenen Spezialisten mit hoher Fachkompetenz für ihr Gesundheitsproblem. Sie treffen eine informierte Entscheidung, ehe sie bei einem komplizierten Eingriff dem Operateur ihr Leben anvertrauen. Doch nicht immer wird den Erwartungen entsprochen. Der Slogan der „freien Arzt- und Krankenhauswahl“ entpuppt sich bei genauer Betrachtung mitunter als Missverständnis.

Freie Arztwahl nicht die Regel

Zu unterscheiden ist zwischen ambulanten und stationären Behandlungen sowie zwischen öffentlichen und privaten Krankenanstalten. Bei ambulanter Behandlung haben auch „nur“ sozialversicherte Personen das Recht der freien Arztwahl. Die stationäre Aufnahme erfolgt im nächstgelegenen geeigneten öffentlichen Spital. Freie Krankenhauswahl besteht nach Maßgabe der Kapazitäten. Gleiches gilt für Zusatzversicherte, die Leistungen der Sonderklasse beanspruchen.

Doch weder Sozialversicherte noch Zusatzversicherte haben Anspruch auf freie Arztwahl in Krankenanstalten mit Öffentlichkeitsrecht. Mag den Wünschen von Sonderklassepatienten auch häufig entsprochen werden, ist die Wahlfreiheit dennoch nicht garantiert. Legistische Vorschläge, die freie Arztwahl in der Sonderklasse öffentlicher Spitäler rechtlich abzusichern, blieben ohne Ergebnis.

Anders verhält es sich in privaten Krankenanstalten: Im zivilrechtlichen Behandlungsvertrag kann die Person des behandelnden Arztes als Erfüllungsgehilfe des Krankenhausträgers verbindlich bestimmt werden. Ebenso kann der Behandlungsvertrag mit einem externen Vertrauensarzt persönlich geschlossen werden. Dieser begleitet „seinen“ Patienten als Belegarzt in die private Krankenanstalt und haftet für die medizinische Behandlung. Mit dem Krankenhausträger schließt der Patient in diesem Fall nur den Vertrag über Unterbringung und Nebenleistungen.

In einem vom Obersten Gerichtshof (OGH zu 8 Ob 120/14a) aktuell entschiedenen Fall ergab sich bei der Klägerin die Notwendigkeit einer Schilddrüsenoperation. Der Eingriff wurde in einem Ordensspital mit Öffentlichkeitsrecht durchgeführt, wobei die für die Hormonproduktion lebenswichtigen Nebenschilddrüsen unabsichtlich zerstört wurden und ein zu entfernender gutartiger Knoten planwidrig verblieben ist. Der Fehlverlauf wurde während der Operation nicht erkannt. Die Klägerin erlitt neben akuter Symptomatik den Ausfall der Parathormonbildung, somit eine unheilbare Erkrankung (Hypoparathyreoidismus). Diese erfordert auf Lebenszeit eine hochdosierte Kalziumsubstitution und zieht gravierende Dauerfolgen nach sich.

„Schicksalhafte“ Komplikation

Die noch nicht 40-jährige Klägerin begehrte vom Krankenhausträger Schmerzensgeld und die Feststellung seiner Haftung. Der gerichtlich bestellte Sachverständige konnte keinen Behandlungsfehler erkennen und qualifizierte die sehr selten, hier aber gehäuft aufgetretenen Komplikationen als „schicksalhaft“. Ebenso wurde die Aufklärung in Bezug auf typische Risken des Eingriffs als mangelfrei beurteilt. Die Klage war dennoch in allen Instanzen zur Gänze erfolgreich.

Ein die Klägerin betreuender Facharzt hatte ihr für die Operation einen ihm bekannten Chirurgen als erfahrenen „Schilddrüsenspezialisten“ empfohlen. Dieser war als Oberarzt im öffentlichen Krankenhaus der Beklagten tätig. Mit ihm wurde der Termin telefonisch abgestimmt. Nach der stationären Aufnahme der Klägerin in der Sonderklasse stellte er sich als „Ihr Operateur“ vor und führte das Aufklärungsgespräch. Ohne Zweifel ging die Klägerin davon aus, dass er die Operation persönlich durchführen werde. Die Arztwahl wurde nicht dokumentiert. Die Organe des Krankenhausträgers hatten von den Erwartungen der Klägerin keine Kenntnis.

Aus unklaren Gründen wurde die Operation abwechselnd durch einen anderen Oberarzt und durch den Primarius durchgeführt. Die Klägerin erfuhr dies überraschend nach einigen Tagen beim Lesen des Berichts. Mit dem von ihr gewählten „Schilddrüsenspezialisten“ gab es keinen weiteren Kontakt. Die Klage wurde auch darauf gestützt, dass für die Vornahme des Eingriffs durch andere Ärzte keine Einwilligung vorlag. Die Beklagte lehnte jede Verantwortung ab, da eine verbindliche Arztwahl im öffentlichen Krankenhaus nicht möglich sei. Überdies sei der betreffende Oberarzt nicht vertretungsbefugt.

Für die rechtliche Beurteilung durch den OGH erwiesen sich diese Fragen als unerheblich: Der Patient muss als Ausdruck seines Selbstbestimmungsrechts in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; anderenfalls ist auch ein medizinisch indizierter und kunstgerecht durchgeführter Eingriff rechtswidrig. Erfolgt die Einwilligung auf Grundlage der Erwartung, von einem bestimmten Arzt behandelt zu werden, und ist diese Erwartung den Gehilfen des Krankenhausträgers bekannt geworden, so muss der Patient vorab informiert werden, wenn der Erwartung nicht entsprochen wird. Unterbleibt die Information, liegt ein Willensmangel der Einwilligung vor, wenngleich im öffentlichen Krankenhaus kein Anspruch besteht, von einem bestimmten Arzt behandelt zu werden.

Patientenerwartungen zählen

Die in älteren OGH-Urteilen bei ähnlicher Sachlage erwähnte „schlüssige Vereinbarung“ wurde nun einschränkend präzisiert: Unerheblich ist die Frage der Vertretungsbefugnis der Gehilfen des Krankenhausträgers, da es hinsichtlich der Wahl des Arztes keiner rechtsgeschäftlichen Einigung, sondern nur der Kenntnis konkreter Erwartungen des Patienten bedarf. Die etwa im Rahmen des Aufklärungsgesprächs gewonnene Kenntnis ist dem Krankenhausträger zuzurechnen und verpflichtet ihn bei Nichterfüllung des Wunsches zur Aufklärung. Ansonsten hat er für sämtliche Folgen des ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Eingriffs – einer unbefugten Heilbehandlung – umfassend einzustehen.


Dr. Hauser ist Rechtsanwalt in Wien und war am Verfahren als Klagevertreter beteiligt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2015)

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