Vordienstzeiten: Zwei Siege, aber noch nichts erreicht

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Im öffentlichen Dienst wird bei der Anrechnung von Vordienstzeiten das Verbot der Altersdiskriminierung verletzt. Ein Opfer droht trotz neuen Urteils leer auszugehen.

Innsbruck. Seit 2003 ist in Österreich das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verbindlich. Schon 2009 war durch das Urteil Hütter des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geklärt worden, dass die im Vertragsbedienstetengesetz (VBG) 1948 angeordnete Nichtberücksichtigung von Vordienstzeiten, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegt worden sind, eine diesem Verbot zuwiderlaufende Diskriminierung dargestellt hat. David Hütter hatte an der TU Graz einen Teil seiner Lehre als Chemielabortechniker schon vor seinem 18. Geburtstag absolviert. Bei seiner Einstufung im Rahmen des an die Lehre anschließenden Dienstverhältnisses war diese Zeit aber nicht als Vordienstzeit berücksichtigt worden.

In der Folge wurden (mit BGBl I Nr 82/2010) unter anderem das Gehaltsgesetz 1956, das VBG 1948 und das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz geändert. Dabei wurde zwar angeordnet, dass auch Vordienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres angerechnet werden. Zugleich wurde aber der für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderliche Zeitraum von zwei Jahren auf fünf Jahre verlängert. Und es wurde auch noch Vorsorge getroffen, dass diese Verlängerung im Ergebnis nur auf die bisher Diskriminierten anzuwenden war. Kurz: Es wurde größtes Augenmerk darauf gelegt, dass das Ganze für diese ein Nullsummenspiel wurde.

Tricks des Gesetzgebers

Ein Betroffener hat sich mit dem Trick des Gesetzgebers nicht abgefunden und die nötigen Schritte eingeleitet. Und er war beim Verwaltungsgerichtshof erfolgreich. Denn dieser hielt fest, dass mit der Neuregelung „die durch den EuGH im Urteil Hütter festgestellte Altersdiskriminierung zu Lasten jener ,Altbeamter‘, die über (nunmehr) anrechenbare – vor dem 18. Lebensjahr erworbene – Zeiten verfügen (...), fortgeschrieben“ wurde (2012/12/0007). Der Gesetzgeber habe damit das EU-Recht „unzulänglich umgesetzt“.

Der Gesetzgeber hat darauf mit der Dienstrechts-Novelle 2012 reagiert. Dort hat er zwar inhaltlich nichts geändert, jedoch die Unionsrechtskonformität der Neuregelung von 2010 „klarzustellen“ versucht. Zahlreiche Betroffene haben das nicht hingenommen. Einer ist auf dem Weg über den VwGH bis zum EuGH gelangt, der auch ihm Recht gab. Am 11. November 2014 sagte die Große Kammer des EuGH: Es sei unzulässig, Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung, die vor dem 18. Geburtstag zurückgelegt wurden, zwar zu berücksichtigen, zugleich aber für die von der Diskriminierung betroffenen Beamten den für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderlichen Zeitraum um drei Jahre zu verlängern (C-530/13).

Als Reaktion auf dieses EuGH-Urteil hat die Koalition im Jänner dieses Jahres in einem beispiellosen Schnellverfahren eine Änderung der einschlägigen Gesetze durchgepeitscht. Der 44-seitige Entwurf wurde am Freitag, den 16.Jänner, den Nationalrats-Abgeordneten übermittelt, am Montag darauf im Verfassungsausschuss und weitere zwei Tage später, also am 21. Jänner, im Plenum beschlossen. Es gab dazu keine erläuternden Bemerkungen, kein Begutachtungsverfahren, keine Anhörung von Experten, keine Einigung mit der Gewerkschaft usw. Am 11.Februar wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt publiziert (BGBl I 2015/32).

Reform 2015 wider Unionsrecht

Kern des Gesetzespakets sind einerseits eine Neuregelung der Einstufung und Vorrückung sowie neue Gehaltstabellen, andererseits unter dem Titel „Bundesbesoldungsreform 2015“ Regelungen über die Überleitung der bestehenden Dienstverhältnisse in das neue Besoldungssystem. Bei genauer Betrachtung erweist sich die Reform 2015 allerdings als genauso unionsrechtswidrig wie jene 2010. Die Altersdiskriminierung der bisher Diskriminierten wird damit nämlich nicht beseitigt oder innerhalb eines Übergangszeitraums schrittweise zum Verschwinden gebracht; die Überleitung wird vielmehr auf eine Art und Weise durchgeführt, dass die Diskriminierung erhalten bleibt, und zwar auf Dauer. In verschleierter Form wurde das Ganze auch noch mit Rückwirkung ausgestattet; und zur Komplettierung wurden auch die Verjährungsregelungen verschlechtert.

Es wird also im Ergebnis genau das gemacht, wozu sich der EuGH am 11.November 2014 bereits unmissverständlich geäußert hat. Der Unterschied zur Novelle 2010 besteht bloß darin, dass mit anderen Methoden gearbeitet und die Diskriminierung besser versteckt wird.

Zuletzt entschied nun der Verwaltungsgerichtshof (am 18. Februar 2015, Zl 2014/12/0004) als innerstaatliches Gericht den dem EuGH vorgelegten Fall (noch zur Rechtslage vor der Bundesbesoldungsreform 2015). Er legte die Rechtsauffassung des EuGH zugrunde. Allerdings sah sich der VwGH „nicht zu einer Entscheidung in der Sache selbst veranlasst“; er hat lediglich den bekämpften Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Für den Beschwerdeführer, der seine Zeiten des Schulbesuchs und der Berufserfahrung vor dem 18. Geburtstag angerechnet haben und bereits nach zwei (und nicht erst fünf) Jahren in Gehaltsstufe 2 vorrücken will, hat das VwGH-Erkenntnis im Ergebnis fatale Konsequenzen: Die Sache geht jetzt wieder von vorn los. Es ist davon auszugehen, dass die Behörden nun die Reform 2015 auf ihn anwenden werden. Wenn das geschieht, wird der Mann – obwohl er beim EuGH und beim VwGH gewonnen hat – mit seinem Sachanliegen nicht durchkommen und keinen einzigen Cent erhalten. Will er dies vermeiden, wird ihm – wie Myriaden anderer Betroffener – nichts anderes als der neuerliche langwierige Weg durch die Instanzen übrig bleiben, nötigenfalls bis hin zum EuGH. Dort wird er allerdings meines Erachtens – wenn das Verfahren professionell geführt wird – infolge der Unionsrechtswidrigkeit der Bundesbesoldungsreform 2015 gute Erfolgsaussichten haben.

Insgesamt ist deutlich zu sehen, dass Österreich nicht bereit ist, das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung korrekt umzusetzen, sondern – wie in vielen anderen Bereichen auch (Stichwort z.B. Ärztearbeitszeit) – die Probleme nur vor sich herschiebt. Diese werden dadurch aber nicht kleiner, sondern größer. Hätte man 2003 oder wenigstens 2009 mit einer angemessenen Übergangsregelung begonnen, könnte man bereits einen unionsrechtskonformen Zustand vorweisen. Mit der jetzigen Reform wird nur Zeit gewonnen. Man hofft augenscheinlich, dass möglichst viele Ansprüche verjähren, weil sich die Diskriminierungsopfer nicht umgehend zur Wehr setzen.


Univ.-Prof. i.R. Dr. Gustav Wachter lehrt Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Innsbruck. Gustav.Wachter@uibk.ac.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2015)

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