Wien: Tiefe Wunden bei SPÖ und Grünen

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Die rot-grüne Rathauskoalition ist am Freitag beinahe geplatzt. Dieser Eklat hat Spuren hinterlassen. Die Grünen sind sich keiner Schuld bewusst – die SPÖ auch nicht.

Wien. Die erste rot-grüne Koalition auf Landesebene, die Bürgermeister Michael Häupl und seine grüne Vizebürgermeisterin, Maria Vassilakou, vor fünf Jahren aus der Taufe hoben, wäre am Freitag fast spektakulär gescheitert. Am Montag bestätigte SPÖ-Parteimanager Georg Niedermühlbichler offiziell, was „Die Presse“ am Samstag berichtet hatte: Hätten die Grünen (mit FPÖ und ÖVP) eine Änderung der Geschäftsordnung durchgeboxt, wäre eine Neuauflage der Koalition „de facto“ unmöglich gewesen. Nachdem Grün-Gemeinderat Şenol Akkılıç zur SPÖ übergelaufen ist, die mit 50 Mandaten ein neues Wahlrecht blockiert hat, bleibt alles wie gehabt. Wobei: Das stimmt nicht ganz, die politischen Wunden auf beiden Seiten sind tief.

Joachim Kovacs, Grün-Klubchef in Ottakring, meint: „Derzeit bin ich für ein Ende der Koalition. Gerade weil es mir um Rot-Grün geht, darf die Koalition unter diesen Vorzeichen nicht fortgesetzt werden.“ Wien brauche kämpferische Grüne, die der Wiener SPÖ Stück für Stück „ihren Verwaltungsfilz rausreißen und die Themen vorgeben“. Und Kovacs ist nicht allein. „Für mich ist diese Koalition vorbei, die Luft und der Spirit sind raus“, meint die grüne Gemeinderätin Birgit Hebein, die einer Neuauflage nur mehr etwas abgewinnen kann, wenn die SPÖ „nicht mehr so“ wie jetzt agiert.

Maria Vassilakou steht weiter zur Koalition. David Ellensohn, der grüne Chefverhandler beim Wahlrecht, erklärte diese Position so: „Wir werden Wien jetzt nicht der SPÖ überlassen. Denn es kann sich ja jeder ein Bild machen, was passiert, wenn der Absolutismus einkehrt.“ Vassilakou kündigte aber eine harte Gangart gegenüber dem Koalitionspartner an: Etwaige Verhandlungen bzw. Kompromisse mit der SPÖ würde es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben.

Grüne haben Druckmittel

Ein Machtmittel besitzt Vassilakou: Im Verkehrs- und Planungsausschuss regieren die Grünen. Setzt der Vorsitzende Rüdiger Maresch (Grüne) z.B. einen roten Antrag nicht auf die Tagesordnung, kann dieser Antrag trotz der dortigen SPÖ-Mehrheit nicht beschlossen werden. Die SPÖ sieht Vassilakous Drohung aber entspannt. „Alle wichtigen Projekte sind bereits auf Schiene“, man müsse nichts mehr beschließen, erklärt ein SPÖ-Sprecher. Tatsächlich sind fast nur mehr Grün-Projekte offen, wie etwa die Fertigstellung der Mariahilfer Straße. Vonseiten der SPÖ wurde vor Kurzem mit der Stadtstraße Aspern (sie verbindet bis 2018 die A23 von Hirschstetten über die Seestadt Aspern mit der S1) das letzte Großprojekt auf den Weg gebracht. Die Grünen hatten diese Straße heftig kritisiert, letztlich aber zugestimmt. In grünen Kreisen wird naturgemäß bestritten, dass diese Zustimmung mit den nun genehmigten Millionen für die umstrittene (von Maria Vassilakou initiierte) Mobilitätsagentur in Zusammenhang steht.

Unabhängig davon ist die rote Verärgerung über die Grünen wegen der Ereignisse der vergangenen Woche ebenfalls nicht gering. Die Grünen hätten am Freitag versucht, die SPÖ „mit einem fiesen Trick reinzulegen“, heißt es in roten Kreisen. „Die Geschäftsordnung des Landtages ist immer einstimmig geändert worden. Selbst in Zeiten der absoluten SPÖ-Mehrheit ist dieses ungeschriebene Gesetz nicht gebrochen worden.“ Die grüne Aktion am Freitag sei kein unfreundlicher, sondern ein inakzeptabler feindseliger Akt gewesen. Mit der Aufnahme des grünen Integrationssprechers Akkılıç in den roten Klub habe man sich nur „gegen eine unfaire Maßnahme“ gewehrt, so die rote Sicht.

Wahlrecht: Wer ist schuld?

Ein weiterer SPÖ-Spitzenfunktionär wehrt sich auch gegen den Vorwurf, die SPÖ hätte beim Wahlrecht immer blockiert. „Wir hatten eine Einigung, die Grünen haben sie aber in die Luft gesprengt.“ Damit wird auf einen rot-grünen Kompromiss angespielt, den die Grünen (trotz vereinbarter Geheimhaltung) im Februar öffentlich bestätigt hatten. Der SPÖ-Vorstand, der von diesem Kompromiss aus der Zeitung erfahren musste, verweigerte daraufhin verärgert seine Zustimmung. Worauf Vassilakou der SPÖ ein Ultimatum stellte– und Häupl seinerseits verärgert eine Sitzung des Koalitionsausschusses initiierte.

Wie es weitergeht, ist offen. Kommt es innerhalb eines Monats zu keinem neuen Eklat (Stichwort: Fristenlauf), wird Rot-Grün bis zum 11.Oktober weiterarbeiten. Bleiben Reibereien nun aus, liegen die Chancen für eine Neuauflage bei 50:50. Ist zumindest in Kreisen von rot-grünen Befürwortern im Rathaus zu hören. (stu/ath/APA)

AUF EINEN BLICK

Einen tiefen Riss in der rot-grünen Koalition hat die Sitzung des Wiener Landtags am Freitag hinterlassen. Teile der grünen Basis fordern ein Ende der rot-grünen Koalition, nachdem ein Grün-Gemeinderat zur SPÖ übergelaufen ist, womit diese nun jede Änderung des Wiener Wahlrechts blockieren kann. Die SPÖ wirft den Grünen wiederum vor, diese hätten mit „Geschäftsordnungstricks“ eine Änderung des Wahlrechts erreichen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2015)

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