Geburt trotz Sterilisation: Fünftes Kind, keine Haftung

(c) FABRY Clemens
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Arme Familie forderte, dass die Ärzte für das Kind zahlen. Die Mehrbelastung sei noch kein Grund für Schadenersatz, sagt der OGH.

Wien. Auch der schönste Kindersegen hat eine Kehrseite: Der Nachwuchs kostet Geld. Deshalb wird immer wieder um die Frage prozessiert, wer für den Unterhalt aufkommen muss, wenn ein Kind wegen eines Arztfehlers zur Welt kommt. Das juristisch und ethisch umstrittene Thema wird nun durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) aktuell.

Im Mittelpunkt stand ein Fall in Graz: Ein Paar hatte schon vier Kinder (alle mussten per Kaiserschnitt zur Welt kommen), und dabei sollte es bleiben. Die Frau unterzog sich einer Tubensterilisation. Ob der Mutter gesagt wurde, dass diese keine hundertprozentige Sicherheit bietet, war strittig. Das Spital behauptete, die Migrantin via Dolmetscher darüber informiert zu haben, die Frau machte einen Beratungs- bzw. einen Arztfehler geltend.

Die juristisch spannende Frage war freilich, inwiefern man hier überhaupt für die Folgen eines Arztfehlers haftet. Denn die Mutter wurde nach der Sterilisation schwanger und brachte ein fünftes Kind zur Welt. Das war zwar mit Belastungen für die Mutter verbunden, das Kind aber kam wie seine vier Geschwister völlig gesund zur Welt.

Die Familie verlangte, dass Ärzte oder Spital für den Unterhalt aufkommen. Eine Abtreibung sei aus religiösen Gründen nämlich schon nicht infrage gekommen. Dass es grundsätzlich möglich ist, Geld für ungewollte Kinder zu erhalten, hat der Oberste Gerichtshof bisher schon judiziert. Etwa, wenn ein Kind behindert zur Welt kommt, weil der Arzt wegen seines Fehlers die Eltern nicht über die drohende Behinderung (und die mögliche Abtreibung) informiert hat. In diesen Fällen muss der Arzt komplett für den Unterhalt aufkommen.

Bei der Geburt ungewollter gesunder Kinder ist der OGH restriktiver: So erhielt eine Frau, der bei einer künstlichen Befruchtung zu viele Eizellen eingesetzt wurden, keinen Schadenersatz: Sie bekam Drillinge, obwohl sie maximal Zwillinge wollte. Der OGH legte sich darauf fest, dass es bei gesunden Kindern nur dann Schadenersatz gibt, wenn die Eltern durch die Geburt außergewöhnlich hart getroffen werden.

Im jetzigen Fall galt es, diese Formel in der Praxis anzuwenden. Die Mutter ist Hausfrau, sie hat kein Einkommen. Der Vater bekommt eine monatliche Rente von rund 1700 Euro. Unterhaltspflichten bestehen für vier Kinder, denn das älteste Kind ist volljährig und lebt in Ägypten. Der Vater liegt mit seinem Einkommen nur minimal über dem Existenzminimum für Menschen mit solchen Unterhaltspflichten.

Unterhalt nur bei Notsituation

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz entschied, dass die Mutter keinen Unterhalt von Ärzten bekomme. Die Eltern hätten das Kind zur Adoption freigeben können. Aber auch wenn sie das Kind behalte, läge noch keine Notsituation vor, die Unterhalt rechtfertigte.

Das Oberlandesgericht (OLG) Graz sah das etwas anders und hielt es für grundsätzlich möglich, hier Unterhalt zuzusprechen. Man müsse aber zuvor noch ganz genau erheben, wie hoch der konkrete Mehraufwand für die Familie durch das neue Kind wirklich ist.

Für den OGH war hingegen schon nach dem bisherigen Verfahrensstand klar, dass Ärzte und Spital keinen Unterhalt leisten müssen. Denn dafür würde der Verweis der Mutter auf die „ohnehin vorhandene schlechte wirtschaftliche Lage der Familie“ sowie auf die „Mehrbelastung des Familienbudgets“ nicht ausreichen. Der Ehemann erhalte den Ausgleichszulagenrichtsatz. Dieser soll es ja Pensionsempfängern ermöglichen, Unterhaltspflichten abzudecken. Es drohe hier keine „personal-existenzielle Notsituation“, die allein und ausnahmsweise Unterhalt bei einem gesunden Kind rechtfertigen würde, erklärte der OGH (9 Ob 37/14b).

Eine Judikaturlinie, die in der Wissenschaft umstritten ist. „Nun ist auch klar: Die Ausnahme ist in Wirklichkeit keine“, sagt Andreas Kletečka, Professor an der Uni Salzburg, zur OGH-Formel. Da der OGH selbst dann, wenn die Familie am Existenzminimum lebt, keine Notsituation erblickt, blieben kaum noch Fälle über, in denen man nach einem Arztfehler auf Unterhalt für ein gesundes Kind klagen kann.

Kletečka wäre dafür, in Fällen wie dem aktuellen Arzt und Spital voll für den Unterhalt des gesunden Kinds haften zu lassen. Denn die Mutter wollte kein Kind (Sterilisation), bekam aber eines. Zudem würde gerade ein Unterhaltszuspruch Abtreibungen vermeiden, sagt Kletečka. Umgekehrt hält der Schadenersatzexperte es für problematisch, dass in Fällen, in denen der Arzt eine Behinderung übersah, der volle Unterhalt zugesprochen wurde. Hier hielte es Kletečka für richtig, nur den Mehraufwand für die Behinderung des Kinds zuzusprechen. Denn ein Kind wollten die Eltern ja in diesen Fällen.

Prozessiert wird übrigens noch darüber, ob die Mutter Ersatz für ihre Schmerzen durch die Geburt bekommt, die bei erfolgreicher Sterilisation nie stattgefunden hätte.

AUF EINEN BLICK

Ersatzfür die ungewollte Geburt eines Kindes nach einem Arztfehler („Wrongful birth“) ist möglich. Etwa, wenn ein Kind behindert zur Welt kommt, weil der Arzt die Eltern während der Schwangerschaft nicht über die erkennbar drohende Behinderung informiert hat.

Bei gesunden Kindern, die nach einem Arztfehler ungewollt auf die Welt kommen, ist die Rechtsprechung restriktiver. Hier kann man den Unterhalt für das Kind von Arzt oder Spital nur einklagen, wenn eine „personal-existenzielle Notsituation“ vorliegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

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