Rechtsanwälte: "Ein schwarzes Schaf macht viel kaputt"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Michael Auer, scheidender Präsident der Anwaltskammer Wien, im Gespräch über den Fall eines Kollegen, der sich mit Millionenschulden das Leben nahm. Das Staatsschutzgesetz und die Speicherung von Vorratsdaten lehnt er ab.

Die Presse: Sie sind jetzt sieben Jahre Präsident der Anwaltskammer Wien. Erkennen Sie zum Ende Ihrer Amtszeit Ihren Stand noch wieder? Anwalt Michael Mathes hat sich das Leben genommen und Millionenschulden an Klienten hinterlassen. Ihr Vize Stefan Prochaska hat sich rund um den Kasachen-Mord-Prozess eine persönliche Fehde mit seinem Kollegen Gabriel Lansky geliefert und ist zurückgetreten. Das sind interessante Zustände.

Michael Auer: Das ist freundlich formuliert. Es ist extrem unerfreulich, was in der Causa Mathes passiert ist. Ich kann ihm aber nicht ersparen, dass er wesentliche Einrichtungen der Rechtsanwaltskammer Wien, wie das elektronische Treuhandbuch, beinhart umgangen hat. Wir sind hier mit einer kriminellen Energie konfrontiert, die ich von einem Anwalt nicht erwarte. Für mich ist selbstverständlich: Wenn ich eine Treuhandschaft übernehme, läuft alles über 10.000 Euro automatisch über das elektronische Treuhandbuch. Warum das hier nicht passiert ist, verstehe ich nicht, damit konnten wir auch nicht rechnen. Mit Ausnahme offener Mietzinsforderungen sind praktisch keine Meldungen nach §22 der Richtlinie eingegangen.

Er verpflichtet Anwälte, Klagen gegen Kollegen der Kammer zu melden.

Ja, das ist eine Pflicht. Wenn der Klient sagt, ich wünsche nicht, dass Sie eine Meldung über eine Klage machen, dann darf ich das Mandat gar nicht annehmen. Denn auf dieser Pflicht basiert eine funktionierende Selbstkontrolle. Das wurde in der Causa Mathes aber offenbar von verschiedenen Kollegen so nicht gehandhabt. So ist das Schlamassel – und das ist ein Hilfsausdruck – entstanden. Nachdem wir keine Treuhandschaft des Dr. Mathes begleiten durften, weil er sie nicht gemeldet hat, waren wir quasi außen vor. Die Mietzinsrückstände hat er meines Wissens rasch bezahlt. So weit, so schlecht. Dass in seiner Kanzlei einiges nicht funktioniert hat, was noch zu Erhebungen der Staatsanwaltschaft führt, ist auch schlecht. Ein ganz schlechtes Beispiel im Kontrast zu ganz vielen ordentlich arbeitenden Kollegen, die Treuhandschaften in Milliardenhöhe abgewickelt haben. Ich gebe zu, ein schwarzes Schaf macht viel kaputt, aber es muss in der Bevölkerung auch klar rüberkommen: Ohne Treuhandbuch läuft das nicht.

Der Mandant kann darauf verzichten.

Ja, es gibt eine Untersagungserklärung. Wenn der Mandant sie unterschreibt, muss ich ihn aber darüber aufklären, dass er keinen Versicherungsschutz hat.

Was lernen Sie aus dem Fall Mathes?

Die Kanzleinachschau durch den Ausschuss ist ein lebender Organismus. Wir passen uns den Gegebenheiten der Zeit an. Wenn die Kollegen sich ankündigen, zählen sie genau auf, was wir wissen wollen. Im Fall Mathes wurde aber viel nicht offengelegt. Und da bin ich als Prüforgan chancenlos. Ich bin keine Staatsanwaltschaft, ich habe kein Recht, die Kanzlei zu durchsuchen, sondern ich bin zu einem gewissen Grad darauf angewiesen, dass das, was der Kollege mir sagt, auch stimmt und vor allem vollständig ist. Was ich gelernt habe, ist, dass wir uns auch eine Vollständigkeitserklärung unterschreiben lassen.

Wünschen Sie sich bei der Nachschau mehr Macht?

Mit der Macht ist es so eine Sache. Die Advokatur ist ein freier Beruf. Wir sind freie, selbstständige Freiberufler. Jede Kontrolle ist eine Einschränkung der Berufsausübung.

Ex-Vizepräsident Prochaska sah sich Ihnen gegenüber verpflichtet, sich in der Causa Alijew nicht öffentlich zu äußern.

Ich kann einem Kollegen nicht sagen: Du hast dich nicht öffentlich zu äußern. Im Zuge eines internen Schlichtungsversuchs hat sich Prochaska freiwillig dazu verpflichtet.

Im Gegenzug hat er erwartet, dass die Kammer sich schützend vor ihn stellt.

Was heißt „schützend vor ihn stellt“? Die Übernahme eines Mandats ist eine freie Entscheidung. Darauf habe ich als Rechtsanwaltskammer gar keinen Einfluss. Punkt zwei: Für mich war klar, dass Prochaska, der ein höchst verdienter und engagierter Kollege in der Kammer war, sich als Präsident bewirbt, wenn ich nicht mehr kandidiere. Für mich ist aber auch klar, dass man mit Übernahme dieser Funktion freie Hand braucht, um frei entscheiden zu können, um ausgleichen zu können. Wenn ein Mandat nicht mit der Funktion vereinbar ist, muss man abwägen und sich für eines von beiden entscheiden. In der Zwickmühle war auch Prochaska. Als Kammerfunktionär muss man eine Vorbildfunktion für Kollegen erfüllen.

Erfüllt man die, wenn man – wie Prochaska gegen Lansky – U-Haft gegen einen Kollegen anregt?

Meines Wissens war das ein Schriftsatz, der nicht aus Prochaskas Hand stammte. Ich glaube, die Kanzlei hat das im Rahmen des Mandates überlegt. Ich gebe zu, dass es überraschend kam. Was rausgekommen ist, sehen wir: Schlussendlich ist Prochaska zurückgetreten. Die Konsequenz wurde gezogen, und dafür muss man ihm Hochachtung zollen.

Der Fall Alijew wurde von beispiellosen PR-Kampagnen begleitet. Was halten Sie davon, wenn Prozesse über Medien ausgetragen werden statt vor Gericht?

Wir leben in einer medienaktiven Welt. Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht, informiert zu werden, wenn wir eine Rechtssache aus Kasachstan importieren. Der Rechtsanwalt muss heute auch den Umgang mit den Medien lernen und pflegen.

Manchmal wird auf die Darstellung nach außen mehr Wert gelegt als vor Gericht.

Mir ist es lieb, wenn Auseinandersetzungen vor Gericht oder Behörden ausgetragen werden. Es kann aber von Fall zu Fall notwendig sein und im Interesse des Mandanten liegen, dass der Advokat dieses Mittel einsetzt.

Kommen wir zur Rechtspolitik. Die Strafbarkeit der sexuellen Belästigung soll erweitert werden. Was halten Sie davon?

Dem Richter wird nicht erspart bleiben, im Einzelfall zu hinterfragen, was in welcher Situation geschehen ist und mit welcher Absicht. Insofern habe ich nichts dagegen, dass die Bestimmung verschärft wird, weil ich davon ausgehe, dass der Richter die Einzelsituation immer zu würdigen weiß.

Ein neues Staatsschutzgesetz soll helfen, Bedrohungen präventiv zu bekämpfen. Was halten Sie davon?

Ich habe damit mein Problem. Es geht in Richtung Verbotsstaat, auch das Thema Vorratsdatenspeicherung kehrt wieder, und die Sammlung von Daten. Dagegen sind wir. Wir geben Freiheit auf und glauben, Sicherheit zu erlangen. Aber das wird nicht der Fall sein. Der Staat ist schon jetzt mehr als geschützt. Ich sehe auch, dass wir Gefahren ausgesetzt sind, aber der, der anständig lebt und anderen mit Respekt begegnet, hat im Grunde nichts zu befürchten. Es ist nicht richtig, den Staatsschutz weiter voranzutreiben.

Was bleibt von Ihrer Präsidentschaft?

Mir war wichtig, uns auch in Europa zu positionieren. Wir durften im Rat der Anwaltschaften der EU die Präsidentschaft führen, in der Vereinigung der europäischen Rechtsanwaltskammern, der Liga für Wettbewerbsrecht, der International Bar Association. Ich bin stolz, dass es uns gelungen ist, durch Angehörige der Wiener Kammer der europäischen Rechtsentwicklung ein Gesicht zu geben.

ZUR PERSON

Michael Auer, Wiener des Jahrgangs 1954, ist seit 1984 eingetragener Rechtsanwalt in Wien; er arbeitet in Kanzleigemeinschaft mit seiner Frau Ingrid Auer. Seit 2. Mai 2008 ist er Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien; zuvor hatte er bereits die Funktion eines Vizepräsidenten inne, die dann der an seiner Seite zur Wahl angetretene Stefan Prochaska übernahm. Bei der nächsten Vollversammlung am 29. April in Wien tritt Auer kein weiteres Mal an. Bis Juni ist Auer noch Präsident

des Verbands Europäischer Anwaltskammern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2015)

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