Neue Sexualdelikte „zu weit“

Kurt Schmoller
Kurt Schmoller Die Presse
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19. Österreichischer Juristentag. Praktiker und Experten diskutieren unter anderem über die Strafrechtsreform, die Migration und Integration von Fremden sowie Schäden durch Finanzanlagen.

Wien. Abwarten: Das empfiehlt der Salzburger Strafrechtsprofessor Kurt Schmoller der Koalition bei deren Vorhaben, das Strafrecht zu reformieren. Denn die Ergebnisse des Österreichischen Juristentags, der ab Donnerstag an der WU stattfindet, sollten „nicht unberücksichtigt bleiben“, schreibt Schmoller, der zusammen mit dem Wiener Kriminologen Christian Grafl das strafrechtliche Gutachten für den Juristentag verfasst hat, in einer Stellungnahme zum Entwurf.

Obwohl Schmoller darin „über weite Strecken kriminalpolitisch sinnvolle Vorschläge“ ortet, kritisiert er einzelne Vorhaben heftig: zum Beispiel die Strafbestimmung gegen sexuelle Handlungen „ohne Einverständnis“. Schmoller: „Ich weiß nicht, was das genau heißt. Eine aktive Äußerung, ob nun ausdrücklich oder konkludent, ist eher unüblich im Kontext sexueller Handlungen. Wenn man sich aber nur passiv verhält, hat man kein Einverständnis erteilt“, sagt Schmoller zur „Presse“. Der Tatbestand gehe „klar zu weit“. Wenigstens entschärfen könnte man ihn, würde man auf sexuelle Handlungen „trotz Ablehnung“ abstellen. In der Praxis wären trotzdem Beweisschwierigkeiten zu erwarten.

Schmoller lehnt auch die Ausdehnung der sexuellen Belästigung auf Berührungen „der sexuellen Sphäre im weiteren Sinn“ ab, auch wenn diesen entschieden entgegenzutreten sei. Erstens lasse sich nicht mit der nötigen Bestimmtheit sagen, welche Berührungen gemeint seien. Und zweitens ergäben sich Wertungswidersprüche zu anderen körperlichen Misshandlungen: So sind und bleiben Reißen an den Haaren, Verdrehen des Arms, Halten im „Schwitzkasten“ oder – als Extrembeispiel – Überschütten mit Jauche (alles ohne Körperverletzung) unterhalb der Grenze des Strafrechts.

Schmoller und Grafl plädieren in ihrem Gutachten (wie die zum Öffentlichen Recht, zum Zivilrecht und zum Steuerrecht bei Manz erschienen) dafür, die seit Einführung des Strafgesetzbuchs 1975 von zehn auf 28 Delikte ausgeweitete lebenslange Freiheitsstrafe auf die schwersten Straftaten zu beschränken, und zwar mehr, als ohnehin geplant ist.

Gegen bloßstellende Fotos

Zu wenig konsequent sehen die Experten im Entwurf auch die Privatsphäre geschützt. Zwar ist eine Bestimmung gegen Cyber-Mobbing geplant; Schmoller fordert aber einen weiter gefassten Bildnisschutz, der die Veröffentlichung von Aufnahmen in einer bloßstellenden Situation unter Strafe stellt („Happy slapping“).

AUF EINEN BLICK

Der 19. Österreichische Juristentagbeschäftigt sich von Donnerstag bis Samstag an der WU mit den Themen Migration und Mobilität, Anlegeransprüche, Strafrecht und gesellschaftliche Wertungen, steuerliche Einkunftsermittlung. Zum Auftakt widmet sich am Mittwoch ab 19 Uhr ein „Rechtspanorama an der WU“ der Frage: „Öffentliche Hand als Spekulant: Wer schützt die Steuerzahler?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2015)

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