Von den magistratischen Freunden der Hinfälligkeit

(c) Freitag
  • Drucken

Vollkommenheit macht mich nervös. Ja, ich bekenne, dass ich mich viel eher dem Tadeligen als dem Untadeligen nahe fühle, was nicht zuletzt das Neue, Geschniegelte mir seit je verleidet.

Das Beruhigende für uns Aficionados des Defekten: dass nichts bleibt, wie es ist, schon gar nicht, wie es anfangs war. Die Zeit ist unser treuester Verbündeter, und verlässlich, wie wir sie kennen, hat sie noch kein Gesicht ohne Falten, noch kein Eisen ohne Rost, noch keinen Verputz ohne Riss gelassen.

Zugegeben, der Zauber des Verfalls hat auch Limitierungen. Und damit meine ich nicht die streng privaten, etwa jene, die der morgendliche Blick in den Spiegel offenbart, vielmehr den ganz und gar öffentlichen Übergang von der Schönheit sich beständig mehrender Lebensspuren hin zum unschönen Zustand ultimativ kenntlicher Endlichkeit. Vulgo: Hin ist hin. Womit wir unversehens in der Veitingergasse, Wien Hietzing, angekommen wären.

Dort findet sich ein Kleinod hiesiger Architekturgeschichte, das gegenwärtig (und nicht durchgängig zur Freude seiner Nutzer) einer umfassenden Renovierung unterzogen wird: die Werkbundsiedlung. Doch von der und den mit ihr zusammenhängenden konservatorischen Debatten soll hier (noch) nicht die Rede sein.

Weiter die Veitingergasse bergab nämlich stößt man linkerhand auf einen betonierten Autounterstand, der sich auf bestem Weg befindet, nicht nur Vergänglichkeit zu repräsentieren, sondern in nicht zu ferner Zukunft selbst vergangen zu sein. Dieses Flugdach rotte „vor sich hin“, konstatierte Iris Meder jüngst im „Spectrum“ der „Presse“, und wenn es denn möglich wäre, Beton zu kompostieren, so müsste man sich den Zustand des Objekts genauso vorstellen. Der Zement-Sand-Kies-Jammer, nebstbei Teil einer immerhin von Roland Rainer und Carl Auböck verantworteten Nachkriegsmustersiedlung, steht übrigens im Eigentum der Stadt. Und spätestens jetzt wissen wir, was wir schon lang ahnen konnten: dass auch im Magistrat die Hinfälligkeit ihre Freunde haben muss.

E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.