Gesetze mit Ablaufdatum rütteln an der Rechtssicherheit

(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

"Sunset clause". Einem Einsatz einer befristeten Gesetzgebung, wie von der ÖVP gefordert, sind enge sachliche und rechtliche Grenzen gesetzt.

Klagenfurt. In der Regel sagen Gesetze und Verordnungen nichts über ihr Außerkrafttreten. Dann gelten sie unbefristet, also für unbestimmte Zeit. Der ÖVP-Bundesparteitag hat sich vorige Woche programmatisch zur „Sunset clause“ als Maxime der Rechtsetzung bekannt: Gesetze und Verordnungen sollen grundsätzlich ein Ablaufdatum haben. Bevor ihre Geltung verlängert wird, ist das Erfordernis ihres Weiterbestehens nachzuweisen. Das soll einem „Wildwuchs“ an Normen Einhalt gebieten und die Rechtsetzung auf das Notwendige konzentrieren.

Zwar wurde schon Thomas Jefferson nachgesagt, einer Befristung der Gesetze auf 19 Jahre das Wort geredet zu haben, weil „one generation had no right to bind another“. Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass jede Generation, ja, die jeweils bestehende politische Mehrheit, es grundsätzlich in der Hand hat, Vorschriften auch aufzuheben. Einmal erlassen heißt nicht für immer erlassen. Rechtsetzung ist ein laufender und dynamischer Prozess, mit dem auf jeweils neue Anforderungen reagiert wird.

Dass die „Sonne“ eines Gesetzes durch Zeitablauf untergeht, rüttelt am Grundsatz der Rechtssicherheit und an der Orientierungsfunktion des Rechts. Sind befristete Normen nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel, wird die Rechtsordnung (auch) in zeitlicher Hinsicht unüberblickbar. Mit gutem Grund stellt § 9 ABGB zur „Dauer des Gesetzes“ das Prinzip auf: „Gesetze behalten so lang ihre Kraft, bis sie von dem Gesetzgeber abgeändert oder ausdrücklich aufgehoben werden.“ Die Bestandskraft von Gesetzen ist gerade im Wirtschaftsleben besonders wertvoll, wenn im Vertrauen auf die geltende Rechtslage disponiert wird. Die Problematik einer kurzfristigen, ja, kurzsichtigen Perspektive in der Gesetzgebung ist etwa jüngst beim Nichtraucherschutz in der Gastronomie oder bei Einführung der sogenannten GmbH light deutlich geworden.

Der Umfang unserer Rechtsordnung wirft zusätzlich Probleme auf. In der Praxis müsste vor jedem „Sunset“ rechtzeitig die Verlängerung geprüft und – bei positiver Evaluierung – die neuerliche politische Willensbildung vorbereitet und durchgeführt werden. Je mehr Befristungen bestehen, desto mehr Gesetzesfolgenabschätzungen, Begutachtungen, administrative und legislative Vorbereitungen sowie politische Prozesse sind notwendig. Die bürokratischen und politischen Transaktionskosten potenzieren sich. Im Übrigen würde die Befristung die Legistik vor neue Probleme stellen, so bei der verbreiteten Verweisungstechnik.

Experimentelle Gesetzgebung

Ein rechtspolitisches Anwendungsfeld der „Sunset clause“ ist dort zu finden, wo eine – sonst vorgeschaltete – wirkungsorientierte Gesetzesfolgenabschätzung mangels Erfahrungswerten oder infolge Komplexität des zu lösenden Problems kaum realisierbar ist. Da ergibt es Sinn, Normen auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen und „experimentelle“ Gesetzgebung zu befristen. Man denke an die probeweise Einführung der Volksanwaltschaft 1977, die bekanntlich noch vor Ablauf der sechsjährigen Befristung 1981 dauerhaft eingerichtet wurde. Sonst sind dem sinnvollen Einsatz der „Sunset clause“ sachliche und rechtliche Schranken gesetzt. So erfordern EU- und Völkerrecht eine dauerhafte Umsetzung. Auch ist es im Licht des Sachlichkeitsgebots kaum argumentierbar, öffentliche Interessen oder Interessen Privater (etwa im Betriebsanlagenrecht) nur befristet als schutzwürdig anzuerkennen, sonst aber gleichsam dem Risiko einer neuerlichen politischen Entscheidungsfindung auszusetzen.


Dr. Edmund Primosch ist Legist und Leiter des Verfassungsdienstes des Amtes der Kärntner Landesregierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.