Bestrafter Polizist und Alkotestverweigerer erzwingen Anhörungen

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Unfaire Verfahren. Straßburg rügt den VwGH, dieser das Bundesverwaltungsgericht.

Wien. Österreich musste vorige Woche erneut eine Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg einstecken: Der Verwaltungsgerichtshof hatte es unterlassen, einen Alkotestverweigerer in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung anzuhören, und so das Gebot des fairen Verfahrens nach Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt.

Das Gebot ist dem VwGH eigentlich bestens vertraut, wie ein zweiter aktueller Fall zeigt: Darin rügte der VwGH seinerseits das Bundesverwaltungsgericht, weil dieses verabsäumt hatte, einen disziplinär auffällig gewordenen Polizisten anzuhören. Sowohl bei Führerscheinabnahmen als auch in Disziplinarsachen muss ab sofort öfter öffentlich mündlich verhandelt werden.

Anlass eins, der Alkoholverdächtige: Der Mann pendelt zwischen Wien und dem Bezirk Melk. Dort hielt die Polizei ihn eines Abends auf und ließ ihn ins Röhrchen blasen. Obwohl das Testgerät allem Anschein nach in Ordnung war, gelang von neun Versuchen nur einer, der jedoch noch nicht reichte. Die Beamten brachen den Alkotest ab. Die Bezirkshauptmannschaft bewertete das Verhalten des Lenkers als Verweigerung des Tests, was laut VwGH schon bei vier ungültigen Versuchen von fünf möglich ist. Neben einem Verwaltungsstrafverfahren, das wegen Säumigkeit der Behörde im Sand verlief, wurde auch der Entzug der Lenkerberechtigung eingeleitet: Für vier Monate sollte der Mann den Führerschein los sein.

Der Pendler kämpfte darum bis zum VwGH, vor dem er gern im Streitgespräch mit den Beamten erörtert hätte, wie die Atemluftkontrolle genau abgelaufen war. Der VwGH verwarf seine Beschwerde aber ohne mündliche Verhandlung, weil diese seiner Meinung nach nichts zur Klärung hätte beitragen können. Der Gerichtshof hielt die Verhandlung auch nicht durch die EMRK geboten. Denn deren strenge Verfahrensgarantien gelten nur für strafrechtliche Vorwürfe und zivilrechtliche Ansprüche – eine Sicherungsmaßnahme wie der Führerscheinentzug sei weder das eine noch das andere.

Darin korrigiert nun Straßburg den VwGH. Nach Ansicht des EGMR (19844/08) gehört, anders als nach österreichischer Lesart, auch der Streit um eine Lenkerberechtigung zwischen Bürger und Behörde zu den Auseinandersetzungen um zivilrechtliche Ansprüche. Daher kann von einer beantragten mündlichen Verhandlung nur ausnahmsweise abgesehen werden, nämlich dann, wenn „ausschließlich rechtliche oder hoch technische Fragen“ zu klären sind, wie der EGMR schon früher formulierte.

Nebenjob um Spielautomaten

Dasselbe Zitat hielt der VwGH dem Bundesverwaltungsgericht in der Disziplinarsache des Polizisten vor. Der hochrangige Beamte war mit einer Disziplinarstrafe in Höhe eines Monatsbezugs belegt worden. Sein Sündenregister: Er tätigte dreimal für private Zwecke Abfragen im Zentralen Melderegister; er verwahrte einen fremden Reisepass ohne rechtliche Grundlage in seinem Büro, ohne dem Verdacht einer Straftat nachzugehen oder für die Rückgabe des Dokuments zu sorgen; und er unterließ es, die Dienstbehörde über Änderungen bei einer gemeldeten Nebentätigkeit zu informieren. Die Firma, für die er nebenbei arbeitete, war in den Betrieb von Automatensalons eingestiegen – ein Geschäft, das zu kontrollieren zu den Aufgaben des Polizisten gehörte.

Auch Disziplinarsachen fallen laut EGMR unter zivilrechtliche Streitigkeiten. Nur meinte diesmal das Bundesverwaltungsgericht, auf die beantragte Anhörung verzichten zu können. Dagegen sagt der VwGH, dass zur Beurteilung der disziplinarrechtlichen Schuld und Strafe der unmittelbare Eindruck vom Beschuldigten wesentlich sei (Ra 2015/09/0009). Immer, wenn in derlei Fällen eine mündliche Verhandlung beantragt wurde, müsse eine stattfinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2015)

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