Umweltschutz: Wo geht's zum Recht auf saubere Luft?

(c) FABRY Clemens
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Das Europarecht zwingt möglicherweise zum Umdenken bei der Frage der Durchsetzbarkeit von Umweltschutzstandards durch Einzelne in Österreich.

Graz. Gibt es ein Recht auf saubere Luft? Wo, wenn nicht in Graz sollte diese Frage diskutiert werden? Gilt doch die zweitgrößte Stadt Österreichs als Feinstaub-Hochburg. Seit Jahren werden hier die Grenzwerte regelmäßig und deutlich überschritten. Zwar hat die EU-Kommission vor Kurzem ein Vertragsverletzungsverfahren (2008/ 2183) vorerst fallen lassen; allein heuer hat es aber schon wieder an 28 Tagen Grenzwertüberschreitungen gegeben. Dadurch ist das nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) zulässige Jahreskontingent in Bezug auf Graz bereits erschöpft.

Beim ersten Grazer Umweltrechtsforum haben daher an der Karl-Franzens-Universität Graz Experten verschiedener Fachdisziplinen, Vertreter aus Politik und Verwaltung sowie NGOs heftig darüber diskutiert, ob Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf saubere Luft haben. Im Brennpunkt des Interesses stand die Frage, inwiefern ein solches Recht gegenüber der Verwaltung und ebenso vor den Gerichten durchgesetzt werden kann.

Die hohe Feinstaubbelastung und damit Gesundheitsgefährdung in Graz hat auch die Bürger auf den Plan gerufen. Wegen der zögerlichen Vorgangsweise der Politik, Maßnahmen gegen einen der Hauptverursacher, den Verkehr, zu setzen, war bereits 2005 eine Feststellungsklage auf Ersatz zukünftiger Schäden gegen das Land Steiermark und die Republik Österreich beim Landesgericht eingereicht worden. Im März 2013 stellte die Familie Hoffmann einen Antrag an den Landeshauptmann, endlich den amtlichen Vorarbeiten zu folgen und eine Umweltzone bzw. tageweise Fahrverbote oder gleichwertige Maßnahmen zu verfügen.

Gegen die Zurückweisung dieses Antrags wurde ein Rechtsmittel eingelegt. Im Juni 2014 entschied das Landesverwaltungsgericht Steiermark (41.1-2572/2014-6): Ja, es gebe Grenzwertüberschreitungen, aber die Tendenz sei doch abnehmend. Und überhaupt: Dem Bürger komme jedenfalls kein Recht auf ein bestimmtes Handeln der Verwaltung zu. Das sei mit der österreichischen Rechtsordnung nicht vereinbar. Der Fall liegt nun beim Verwaltungsgerichtshof. Ebenso wie die Revision des Ökobüros gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Salzburg (vom 30.März 2014, 4/1228/5-2015).

Kampf gegen Stickstoffdioxid

Die Ironie der Geschichte: Der Salzburger Landeshauptmann hat das Recht der Umweltorganisation auf saubere Luft, also auf Überprüfung, ob Maßnahmen zur Reduktion der Stickstoffdioxidbelastung in Salzburg zu setzen sind, anerkannt, aber das Landesverwaltungsgericht hat dies verneint. Der VwGH hat schon 2012 aus Anlass der Beschwerde einer Niederösterreicherin die europäische Rechtsprechung zum Individualrechtsschutz grundsätzlich anerkannt (26.Juni 2012, 2010/07/0161).

Große Hoffnungen sind also auf das Europarecht gerichtet. Hat doch der EuGH im Herbst letzten Jahres (am 19.November, C-404/13– Client Earth) festgehalten, dass die Rechtsprechung in der Sache Janecek (C-237/07) auf die aktuelle Rechtslage übertragbar ist. Wer unmittelbar von Grenzwertüberschreitungen betroffen ist, hat daher einen Anspruch auf Erstellung und Verbesserung eines Luftreinhalteplans (gemäß Art23 der RL 2008/50/EG) und muss ihn gegenüber den nationalen Behörden– gegebenenfalls unter Anrufung der Gerichte – durchsetzen können.

Sollte nationale Rechtstraditionen Probleme beim Zugang zu Gerichten bereiten, leistet die Aarhus-Konvention Schützenhilfe. Ist doch „access to justice“ in Umweltsachen eines ihrer Kernanliegen und hat der EuGH in einem Leading case (8.März 2011 C 240/09 – „Slowakischer Braunbär“) festgestellt, dass die Aarhus-Konvention einen integralen Bestandteil des EU-Rechts bildet und zum effektiven Schutz von Unionsrechten eine „aarhuskonforme Auslegung“ des nationalen Rechts nötig ist. Dass Österreich mit der vollständigen Umsetzung der Konvention in Verzug ist, sei nur am Rand angemerkt (Mahnschreiben der EU-Kommission zum Vertragsverletzungsverfahren 2014/ 4111 vom 11.Juli 2014).

Erforderlichenfalls muss – wie Ulrike Giera (vorm. Boku Wien) und Teresa Weber (Uni Salzburg) beim Umweltrechtsforum betonten– zur Durchsetzung unionsrechtlich garantierter Individualrechte die traditionell restriktive Auffassung aufgegeben werden, subjektive Rechte stünden nur spezifisch Betroffenen zu. Auch dass nach heimischer Rechtstradition keine Rechtsmittel zur Durchsetzung allfälliger Ansprüche auf Erlassung von Plänen und Programmen existieren, darf einer effektiven Durchsetzbarkeit des Rechts auf saubere Luft nicht entgegenstehen.

Wie Waltraud Petek (Umweltministerium) berichtet, wird im Zuge legistischer Reformpläne zur verbesserten Umsetzung der Aarhus-Konvention überlegt, ob zur Überprüfung von nicht normativen Plänen und Programmen das neue Instrument der Verhaltensbeschwerde (Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG) herangezogen werden kann. Damit könnte etwa eine Überprüfung bei Säumnis in Bezug auf nicht normative Maßnahmen nach dem IG-L vorgesehen werden.

Es steht jedenfalls zu hoffen, dass der Gesetzgeber es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen belässt oder abwartet, dass die Gerichtsbarkeit eine entsprechende Lösung zur Durchsetzung des Rechts auf saubere Luft erzwingt. Wie nämlich Barbara Goby (Umweltdachverband) in Graz treffend meinte: „Es braucht keine weiteren Studien, alles liegt auf dem Tisch, jetzt ist politischer Wille gefragt!“


Univ.-Prof. Dr. Eva Schulev-Steindl und Ass.-Prof. Dr. Gerhard Schnedl lehren am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz, Dr. Marlies Meyer arbeitet im Grünen Klub im Parlament.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

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