Gewalt und Vermögen: Neue Ungereimtheit

(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Strafgesetzreform. Experte Kurt Schmoller attestiert der Regierung gelungene Schritte, Delikte gegen Leib und Leben strenger, solche gegen das Vermögen weniger streng zu bestrafen. Der Entwurf sei aber weniger konsequent, als geplant war.

Die Presse: Wird die Reform des Strafgesetzbuchs, wie die Regierung sie beabsichtigt, ihrem Ziel gerecht, die Delikte gegen Leib und Leben strenger, jene gegen das Vermögen weniger streng zu bestrafen?

Kurt Schmoller: Es werden wichtige Schritte in diese Richtung gesetzt. Allerdings ist dieses zentrale Reformanliegen im vorangegangenen Ministerialentwurf im Bereich der Körperverletzungsdelikte konsequenter umgesetzt worden. Die Regierungsvorlage schwächt die Reform weitgehend ab. So passt nach der Regierungsvorlage zum Beispiel weiterhin nicht zusammen, dass beim Vermögensdelikt des Raubs mit fahrlässiger Todesfolge 20 Jahre oder lebenslange Freiheitsstrafe drohen; wenn der Täter dagegen das Opfer in der Absicht auf schwerste Körperverletzung brutal zusammenschlägt und dadurch fahrlässig tötet, können nun wieder höchstens 15 Jahre verhängt werden, also deutlich weniger als beim Raub mit Todesfolge. Die Strafdrohung würde nur dann drastisch ansteigen, wenn es dem Täter auch darum ginge, dem Opfer die Geldtasche wegzunehmen. Warum der Wegnahme der Geldtasche insoweit mehr Bedeutung beigemessen wird als gezielten schwersten Körperverletzungen, leuchtet nicht ein. Der Vorschlag der Expertenkommission, den Strafrahmen in diesen beiden Fällen näher anzugleichen, hätte nicht rückgängig gemacht werden sollen.

Heißt das, beim Raub mit fahrlässiger Todesfolge sollte auf lebenslang verzichtet werden?

Die Zahl der Fälle, in denen lebenslange Freiheitsstrafe angedroht wird, hat sich seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs 1975 etwa verdreifacht. Ich würde es als kriminalpolitisch sinnvoll sehen, die lebenslange Freiheitsstrafdrohung auf die schwersten Delikte einzuschränken, nämlich auf vorsätzliche Tötungen und ganz wenige vergleichbar schwere Delikte. Bei Vermögensdelikten wäre sie verzichtbar.

Wo noch sollte der Gesetzgeber konsequenter sein?

Beim Schutz der Privatsphäre. Auch sie ist eines der Rechtsgüter, denen in den letzten Jahren und Jahrzehnten zunehmende Bedeutung beigemessen wurde. Ihr Schutz ist aber nach wie vor etwas unvollständig. Insbesondere fehlt weiterhin eine Strafvorschrift gegen heimliche intime Bildaufnahmen und deren Veröffentlichung. Seit jeher gibt es eine vergleichbare Strafvorschrift gegen heimliche Tonbandaufnahmen.

Apropos Intimsphäre. Über kaum eine Bestimmung ist so viel diskutiert worden wie über den sogenannten Po-Grapsch-Paragrafen. Was halten Sie von der jetzigen Fassung?

Das ist tatsächlich auch in den Medien exzessiv diskutiert worden. Als man den Tatbestand der sexuellen Belästigung 2004 völlig zu Recht neu eingeführt hat, wurde er mit guten Gründen auf eine Berührung der geschlechtsspezifischen Körperregionen beschränkt. Ob jetzt für eine Ausweitung des Strafrechts auf die Berührung anderer Körperregionen wirklich Bedarf besteht, erscheint etwas zweifelhaft. Die nunmehrige Fassung ist aber besser als die vorangegangene, weil sie primär auf den entwürdigenden Charakter der Berührung abstellt. Damit normiert sie in Wahrheit ein zusätzliches Ehrenbeleidigungsdelikt, für das allerdings nicht die sonst bei Beleidigungsdelikten vorgesehenen Strafbarkeitseinschränkungen gelten.

Die Ehrenbeleidigung setzt zumindest drei weitere Anwesende voraus.

Genau. Wenn man die geplante Strafvorschrift als Ehrenbeleidigungsdelikt versteht, bestehen keine grundsätzlichen Bedenken mehr dagegen. Es bleibt aber die Frage, ob man das Strafrecht so weit ausdehnen muss. Es ist ja auch immer wieder infrage gestellt worden, ob die Ehrenbeleidigungsdelikte nicht schon zu weit reichen und ob man nicht mit zivilrechtlichen Entschädigungsansprüchen das Auslangen finden könnte.

Wie erklären Sie sich, dass diese neue Bestimmung von Frauenseite als so wichtig gesehen wird? Ist es ein Versuch, die Gleichberechtigung zu fördern, bei deren konsequenter Umsetzung man sich noch immer schwertut?

Die Einführung der Strafbarkeit soll sicher auch eine symbolische Bedeutung haben. Das räumen gerade die Befürworter immer wieder ein, weil sie selbst davon ausgehen, dass es selten zu Anzeigen und noch seltener zu Verurteilungen kommen wird. Eine bloß symbolische Strafvorschrift hilft allerdings dem Anliegen, die Stellung der Frau in der Gesellschaft weiter zu verbessern, nicht sehr viel. Da wären andere Anliegen in dieser Richtung wohl vordringlicher. Zudem schaden symbolische Strafvorschriften dem Strafrecht, weil dieses weniger ernst genommen wird, wenn man es als bloßes Symbol benutzt.

Bei der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung beschränkt die Regierungsvorlage Ihren Einwänden entsprechend die Strafbarkeit auf Fälle, in denen der Täter gegen den Willen des Opfers vorgeht. Anfangs hieß es „ohne Einverständnis“, was schwer zu widerlegen gewesen wäre.

Der geplante Straftatbestand wurde zu Recht auf jene Fälle eingeschränkt, in denen das Opfer zuvor seinen Willen bekundet hat, dass es mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist: ausdrücklich oder durch Gestik oder indem es etwa zu weinen beginnt. Diese doch deutlich engere Fassung erscheint nun vertretbar. Ob er auch praktikabel ist und beweismäßig umgesetzt werden kann, wird sich erweisen.

Zurück zu den Vermögensdelikten: Ist es richtig, die Anhebung der Wertgrenzen, ab denen jeweils strengere Strafen drohen, mit 300.000 Euro festzusetzen und nicht, wie im ersten Entwurf geplant, mit 500.000?

Die Expertengruppe hatte eine Anhebung auf 300.000 Euro vorgeschlagen. Die zunächst im Entwurf vorgesehenen 500.000 Euro waren wohl zu großzügig, vielleicht auch nur strategisch gemeint. Die nunmehrige Rückkehr zum Vorschlag der Expertengruppe verdient Zustimmung.

ZUR PERSON

Kurt Schmoller (55) ist Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Salzburg. Mit dem Kriminologen Christian Grafl hat er für den Juristentag ein Gutachten über die aktuellen Strafdrohungen und die gesellschaftlichen Wertungen verfasst. Er saß in der Exper-tenkommission zur Strafrechtsreform, die das Justizministerium beriet. [ C. Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.