Tochter entführt: Österreich muss Italiener entschädigen

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Menschenrechtsurteil. Österreicherin verließ mit Tochter italienischen Mann. Er bekommt 25.000 Euro, weil Justiz Rückführung verschleppte.

Wien. Tempo ist bei Streitigkeiten zwischen Eltern über das Sorgerecht für Kinder das Um und Auf: Ein wirksamer Schutz des (getrennten) Privat- und Familienlebens der Beteiligten erfordert, „dass die künftigen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nicht durch den bloßen Zeitablauf bestimmt werden“. Das betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem Urteil über einen österreichisch-italienischen Kindesentführungsfall („M.A. gegen Österreich“, 4097/13). Der Straßburger Gerichtshof verurteilt damit Österreich, den italienischen Vater mit 25.000 Euro zu entschädigen. Denn Österreichs Gerichte haben Verfügungen der italienischen Justiz, mit denen der von Mutter und Kind verlassene Vater seine Tochter hätte zu sich bekommen sollen, nicht rasch genug umgesetzt. Die Tochter lebt vielmehr noch immer bei ihrer Mutter und deren Lebensgefährten in Österreich.

Die Angelegenheit ist, wiewohl die handelnden Personen auf Antrag des Beschwerdeführers nur mit ihren Initialen bezeichnet werden, unschwer als der Fall Povse zu identifizieren. Die Steirerin Doris Povse und ihr damaliger italienischer Lebensgefährte bekamen im Dezember 2006 ihre Tochter Sofia. Die Beziehung zerbrach, und Povse ergriff mit Sofia die Flucht nach Österreich. Ohne den Vater zu fragen, der nach italienischem Recht zusammen mit ihr die Obsorge für die Tochter hatte. Damit war die Ausreise eine Entführung im Sinn des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte der Kindesentführung.

Nach diesem HKÜ muss das Kind in jenen Staat zurückgebracht werden, aus dem es gegen den Willen eines Elternteils geholt wurde. Dort soll über sein weiteres Schicksal entschieden werden. Das einschlägige EU-Recht (Brüssel-IIa- Verordnung“) schreibt vor, dass die Gerichte einander über die Grenzen hinweg vertrauen, dass also eine Entscheidung im früheren Aufenthaltsstaat im neuen zu akzeptieren ist.

Im Fall Povse billigte das Venediger Jugendgericht der Mutter zwar zuerst zu, in Österreich zu bleiben. 2009, als der Kontakt des Vaters zu Sofia abgerissen war, ordnete das Gericht aber die Rückführung an. Stattdessen folgte ein beispielloser juristischer Streit auf allen Ebenen dies- und jenseits der Grenze, vom Bezirksgericht Leoben bis zum EU-Gerichtshof und – ein erstes Mal bereits 2013 – zum EGMR. Povse scheute die Öffentlichkeit nicht: Sie schrieb ein Buch zum Thema, einmal ließ sie sich mit Sofia vom wahlkämpfenden Frank Stronach von der Flucht durch Europa per Privatjet heimbringen. Derzeit läuft wieder ein Verfahren über die Obsorge in Venedig.

2009 Rückführung angeordnet

In seiner aktuellen Entscheidung räumt der Straßburger Gerichtshof ein, dass der Fall für die Gerichte alles andere als leicht zu bewältigen war – auch wegen der unnachgiebigen Haltung der beiden Eltern. Trotzdem bleibt es ein Faktum, dass der Vater bereits im September 2009 eine rechtskräftige vollstreckbare Entscheidung aus Italien hatte, deren Umsetzung die Justiz in Österreich bis heute nicht gewährleisten konnte. Dabei drohe gerade in solchen Fällen, das Verstreichen der Zeit die Position des getrennt lebenden Elternteils unwiederbringlich zu zerstören. Der Gerichtshof spricht dem in seinem Recht auf Privat- und Familienleben verletzten Vater 20.000 Euro als Ersatz für seine immateriellen Schäden zu; 5000 weitere bekommt er für die Verfahrenskosten.

Der Gerichtshof kritisiert, dass die aktuelle Rechtslage in Österreich die rasche Umsetzung der italienischen Entscheidung nicht gerade erleichtert habe. Das Justizministerium prüft jetzt, wie das Verfahren abgekürzt werden kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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