Staatsdienst: Zweierlei Maß bei Behinderung

(c) Clemens Fabry
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Menschen mit geistiger Behinderung ist laut Gesetz die Arbeit für den Bund verwehrt.

Wien. Behinderung ist nicht gleich Behinderung. Der Bund fordert für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst, unabhängig von der jeweiligen Aufgabe, die volle Handlungsfähigkeit. Für Menschen mit geistiger Behinderung besteht daher offensichtlich keine Verwendung im öffentlichen Dienst.

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, auch Menschen mit geistiger Behinderung zu beschäftigen. In der Privatwirtschaft ist das kein Problem. Der für den Behinderten vertretungsbefugte Sachwalter schließt den Dienstvertrag ab, und der Aufnahme der Beschäftigung steht nichts mehr im Weg. Anders ist die Ausgangslage im öffentlichen Dienst, der doch grundsätzlich mit gutem Beispiel vorangehen sollte.

§3 Vertragsbedienstetengesetz (VBG) und §4 Beamten-Dienstrechtsgesetz (BDG) regeln die allgemeinen Bedingungen für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst des Bunds. Nur Personen, die unter anderem folgende Voraussetzungen erfüllen, dürfen aufgenommen werden: die volle Handlungsfähigkeit (ausgenommen ihre Beschränkung wegen Minderjährigkeit) und die persönliche und fachliche Eignung für die Erfüllung der Aufgaben, die mit der vorgesehenen Verwendung verbunden sind.

Das bedeutet, dass völlig unabhängig von der gestellten Aufgabe eine Aufnahme als Vertragsbediensteter ausscheidet. In einem von der Volksanwaltschaft aufgezeigten Fall hat eine junge Frau, die an einer geistigen Behinderung leidet, zur vollsten Zufriedenheit ihren Job als Küchengehilfin in einer Kaserne erfüllt. Sie brachte daher die persönliche und fachliche Eignung für die Erfüllung dieser Aufgabe mit. Trotzdem scheiterte vorerst eine Aufnahme an §3 VBG. Eine Lösung musste erst durch den Abschluss eines Sondervertrags erfolgen.

Kanzler musste zustimmen

So können in Ausnahmefällen im Dienstvertrag Regelungen getroffen werden, die von diesem Bundesgesetz abweichen. Solche Dienstverträge sind als Sonderverträge zu bezeichnen und bedürfen der Genehmigung des Bundeskanzlers. Der Gesetzgeber dachte bei dieser Bestimmung mit Sicherheit nicht an den Abschluss eines Dienstvertrags mit einer Küchengehilfin, vielmehr kommt sie zum Beispiel bei hochqualifizierten EDV-Experten zur Anwendung.

Das Vertragsbedienstetengesetz trat am 1.Juli 1948 in Kraft. Seit damals kam es, nicht zuletzt aufgrund der fast jährlichen Gehaltsanpassungen, zu mehr als 130 Novellen des Vertragsbedienstetengesetzes, doch die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Bundesdienst blieben im Wesentlichen gleich. Die Stammfassung enthielt ebenso das Erfordernis der vollen Handlungsfähigkeit. Lediglich die altersmäßige Untergrenze beträgt nicht mehr das vollendete 18., sondern das 15. Lebensjahr. Bislang kam es 2015 zu zwei Beamtendienstrechtsnovellen, die letzte wurde im Nationalrat am 21.Mai beschlossen. Eine Änderung der Aufnahmebestimmung – leider Fehlanzeige.

Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Österreich, das gleiche Recht von Menschen mit Behinderung auf Arbeit anzuerkennen. Doch Behinderung ist offensichtlich nicht gleich Behinderung. Das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung verhindern soll, nützt den geistig behinderten Menschen nicht viel, da die Arbeitswelt vom Geltungsbereich des im Behinderteneinstellungsgesetz geregelten Schutzes vor Diskriminierung ausgenommen ist.

Regeln verfassungswidrig?

Nach dem Behinderteneinstellungsgesetz sind die Dienstgeber, die im Bundesgebiet 25 oder mehr Dienstnehmer beschäftigen, verpflichtet, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten (§2) einzustellen. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst, überdies enthält das Behinderteneinstellungsgesetz Schutzvorschriften vor Diskriminierung in der Arbeitswelt, unter anderem bei der Begründung eines Dienstverhältnisses. Eine wichtige Bestimmung, die sich an die privaten und öffentlichen Dienstgeber richtet, die aber durch §3 VBG und §4BDG ausgehebelt wird. Schutz erhalten daher alle körperlich behinderten Menschen, aber nicht jene, die unter einer geistigen Behinderung leiden. Eine verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Ungleichbehandlung.

Der Wegfall der Voraussetzung der vollen Handlungsfähigkeit würde eine längst fällige Gleichstellung mit der Privatwirtschaft schaffen und auch keine Mehrkosten nach sich ziehen. Überdies können nur jene Personen aufgenommen werden, die auch für die Erfüllung der beruflichen Anforderung geeignet sind.

Rätselhaft und völlig unverständlich, wieso das Gesetz nach wie vor die volle Handlungsfähigkeit erfordert. Mag auch sein, dass die Gewerkschaft dazu ihren Beitrag leistet. Seit 1948 hat sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Menschen mit Behinderung sind in den Alltag, in die Freizeit, aber auch in die Arbeitswelt miteinzubeziehen. Das sollten der Gesetzgeber und ebenso die zuständigen Interessenvertreter zur Kenntnis nehmen.


Mag. Markus Huber ist Mitarbeiter der Volksanwaltschaft.

Menschen mit körperlicher Behinderung sind auch im öffentlichen Dienst geschützt, bei einer geistigen Behinderung ist dies ganz anders, Das Gesetz verlangt die volle Handlungsfähigkeit. Darum konnte eine Frau mit geistiger Behinderung zunächst nicht als Vertragsbedienstete angestellt werden, obwohl sie ihren Job als Küchengehilfin in einer Kaserne gut erledigte. Erst ein Sondervertrag schaffte rechtliche Abhilfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2015)

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