Fall Range: Die Mär von der schrankenlosen Pressefreiheit

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Der Beifall von Medien und Politik für die Abberufung des deutschen Generalbundesstaatsanwalts verwundert. Große Aufregung würde herrschen, wenn in Österreich der Justizminister derart bei der Staatsanwaltschaft durchgreift.

Wien. Man stelle sich vor: Die Staatsanwaltschaft will wegen Verrats von Staatsgeheimnissen (§§252, 256 StGB) und geheimen Nachrichtendiensts zum Nachteil Österreichs wegen Zusammenarbeit mit der NSA ein Strafverfahren einleiten. Und berichtet, dass sie ein Gutachten zur Frage des Begriffs des Geheimnisses und der Art der nachrichtendienstlichen Tätigkeit in Auftrag gegeben habe. Der Justizminister erteilt darauf ohne Begründung die Weisung, den Gutachtensauftrag zu stoppen und kein Verfahren zu führen. Darauf erklärt der zuständige Leiter der Oberstaatsanwaltschaft oder der Leiter der Strafrechtssektion, die Weisung für rechtswidrig zu halten, was unmittelbar zu dessen Abberufung führt. Was wäre die Folge?

Man kann es sich ausmalen, von parlamentarischen Anfragen bis hektisch geschriebenen Artikeln und Pressekonferenzen bewegter Politiker über den Missbrauch des Weisungsrechts, was wieder einmal die Berechtigung zur Abschaffung desselben untermauert. Die Standesvertreter der Richter und Staatsanwälte würden das hohe Lied der Unabhängigkeit singen und erneut die Verlagerung des Weisungsrechts auf ein Organ der Gerichtsbarkeit fordern.

Zur Klarstellung: In der Tat wäre die Weisung zumindest fragwürdig, in Österreich wäre auch keine Diskussion über deren Inhalt möglich, weil sie schriftlich und mit einer Begründung ergehen müsste. Ab 2016 wird es nicht einmal möglich sein, die Einleitung von Ermittlungen zu untersagen, weil nur mehr über die Beendigung des Ermittlungsverfahrens zu berichten ist (also Einstellung oder Anklage).

Zieht man die Parallele zur Diskussion in Deutschland erkennt man doch überrascht, dass das alles unter Beifall der Politik und der Medien (trotz kritischer Kommentare etwa in der „FAZ“ – „Bananenrepublik“) möglich ist: Generalbundesanwalt Harald Range leitet nach einer Anzeige des Bundesnachrichtendienstes ein Verfahren gegen Personen ein, die ein angebliches Staatsgeheimnis (§93 deutsches StGB) öffentlich bekannt gemacht haben (§94 dStGB – Landesverrat) und will per Gutachten klären, ob die veröffentlichten Tatsachen als Staatsgeheimnis verstanden werden können (also Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden).

Kein Grund zur Aufregung

Also, abgesehen von der Frage, ob es geschickt war, hier schon von einem Anfangsverdacht gegen zwei bekannte Blogger (Netzpolitik.org) auszugehen, kein Grund zur Aufregung – keine Zwangsmaßnahmen, keine Haft, keine Netzsperre.

In der sofort aufwallenden Diskussion über das alles überstrahlende Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit erteilt der Justizminister aber (angeblich) die Weisung, den Gutachtensauftrag zu stoppen und das Verfahren auf sich beruhen zu lassen. Der mutige Herr Generalbundesanwalt meint jedoch, sich eine derartige Weisung nicht gefallen lassen zu müssen (was er nach öst. Recht zweifellos könnte, weil §30 StAG ihn dazu berechtigt, rechtswidrige Weisungen abzulehnen) und begründet dies auch gegenüber der Öffentlichkeit.

Sein Schicksal ist besiegelt, der Bundesminister fordert ihn auf, noch am selben Tag sein Gesuch um sofortige Pensionierung einzureichen. Beides – Weisung und faktische Entlassung – hätte unter anderen Umständen eine breite Debatte über Berechtigung und Umfang des Weisungsrechts gepaart mit Personalhoheit ausgelöst. Der Schutz der Meinungsfreiheit des mutigen Herrn Generalbundesanwalts Range und die Frage nach der Reichweite der Unabhängigkeit der Rechtsprechung zählt demgegenüber weniger, hier wurde nach dem Grundsatz „Wehret den Anfängen“ die Mär von der schrankenlosen Presse- und Meinungsfreiheit verbreitet.

Es stimmt bedenklich, wenn eben wegen des Gegenstands des Interesses (hier Vorrang der Meinungs- und Pressefreiheit vor staatlichen Eingriffen) keine Grundsatzdiskussion über den Einfluss der Politik auf die Strafverfolgung stattfindet. Ja, nicht einmal eine rechtspolitische über die Frage, ob der Tatbestand des Landesverrats Einschränkungen zugunsten der freien Berichterstattung bedarf. Nein, man applaudiert dem ach so mutigen Einschreiten des Bundesministers unter Deckung der Spitzen der Bundesregierung.

Aus der österreichischen Perspektive verwundert, dass gerade nach den Diskussionen über eine weitere Objektivierung des Weisungsrechts des Justizministers durch Einrichtung eines Weisungsrats keine Beobachtung stattfindet, wie schrankenlos das Weisungsrecht verbunden mit dienstrechtlichen Konsequenzen im Nachbarstaat ausgeübt werden kann.

Immerhin hat der deutsche Richterbund den Fall zum Anlass genommen, die Abschaffung des Weisungsrechts zur fordern, dabei aber die Frage unbeantwortet gelassen, ob hier ein Einschreiten geboten gewesen ist.

Man könnte auch den Spieß umdrehen und die Berechtigung des Weisungsrechts anhand dieses Falls bejahen, dann aber müsste man den Schluss ziehen, dass die österreichische Rechtslage ab 2016 ein derart „mutiges“ und entschlossene Einschreiten des Bundesministers für Justiz in vergleichbaren Fällen verhindert.

Chance zur Begründung fehlte

All diese Fragen sollten offen diskutiert werden. Ist man der begründeten Ansicht, dass sich der Herr Generalbundesanwalt rechtswidrig verhalten hat, dann war die Weisung wohl notwendig, um Schaden von der Justiz abzuwenden. Ist man jedoch entschieden gegen einen Einfluss der Politik auf den Gang der Strafverfolgung, dann müsste man Herrn Range verteidigen, weil es bedenklich ist, das Ergebnis eines Gutachtens über die Tatbestandsmäßigkeit vorwegzunehmen. Dass man Herrn Range das Recht nimmt, seine Haltung auch öffentlich zu begründen und zu verteidigen und dies als Anlass seiner Abberufung rechtfertigt, ist wohl von jeder der gegensätzlichen Betrachtungsweisen abzulehnen.

Eine Demokratie muss auch eine Diskussion über Grenzen sowohl der Meinungsfreiheit als auch des Weisungsrechts aushalten können, ohne von ihren Organen Willfährigkeit einzufordern.


Mag. Christian Pilnacek ist Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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