Begleiter vor Gericht: Österreichs exportfähiges Modell

(c) Clemens Fabry
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Im Oktober startet die neue Ausbildung für die Prozessbegleitung für Opfer von Straftaten, die nachgeschärft und ergänzt wurde.

Wien. Den einstigen Partner vor Gericht belasten, gegen den Vater seiner Kinder aussagen, seinem Misshandler in die Augen sehen – um auf derart belastende Situationen vorbereitet zu sein, wurde 1999 in Österreich ein Projekt gestartet: die Prozessbegleitung. Aus dem Versuch wurde ein bundesweites Angebot: In Strafsachen besteht seit 2006 der Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. In Zivilsachen wird seit 2009 eine psychosoziale Betreuung offeriert. Eine Institution, für die die Republik international ausgezeichnet wurde – zuletzt mit dem Future Policy Award.

„Österreich zählt zu den Vorzeigeländern, wir haben die längste Tradition der Prozessbegleitung in der EU“, sagt Mario Thurner vom Managementzentrum Opferhilfe. „Unser Modell ist exportfähig.“ Aktueller Sympathisant ist das deutsche Justizministerium. Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, die Slowakei und Slowenien haben ebenfalls bereits Interesse geäußert. Grund ist die EU-Opferhilferichtlinie, die bis 16.November von allen Mitgliedstaaten umzusetzen ist. Sie legt fest, dass mit Opfern respektvoll umgegangen werden muss. Diskriminierungen sind zu vermeiden und Opfer vor erneuter Viktimisierung zu schützen. „Österreich tut sich damit sehr leicht“, sagt Thurner, andere Staaten hätten dagegen noch Nachholbedarf.

„Mit dem Rechtsanspruch auf Prozessbegleitung geben wir Opfern eine Stimme und sorgen dafür, dass sie in Gerichtsverfahren gehört werden“, beschreibt Justizminister Wolfgang Brandstetter die Aufgabe der „unauffälligen Gefährten“ im Gerichtssaal. Evelyn Probst von der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels ergänzt um „die emotionale Stabilisierung“. Gerade bei Missbrauchsfällen, Gewalt in der Familie sowie bei Kindern und Jugendlichen sei es nötig, das Selbstbewusstsein der Opfer wieder aufzubauen und sie bei Bedarf zu Vernehmungen bei der Polizei und Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft zu begleiten. „Die Opfer müssen sich selbst wieder für gut befinden, um aussagen zu können“, sagt Probst.

Gerade hier liegt die Schwierigkeit: „Prozessbegleiter nehmen dem Gericht auch Arbeit ab, da sie die Zeugen auf die Abläufe vorbereiten, doch hat man manchmal das Gefühl, es mit präparierten, teilweise instrumentalisierten Personen zu tun zu haben“, sagt Christina Salzborn, Richterin am Straflandesgericht Wien. Gemeint sind Fälle, in denen Zeugen scheinbar eingeübte Aussagen tätigen, ständig den Blick des Begleiters suchen. Auch komme es vor, dass Zeugen erst in der Hauptverhandlung berichten, nicht nur einmal, sondern seit Jahren geschlagen zu werden. „Man fragt sich: Warum wurde das nicht in der Vorbesprechung erörtert?“, sagt Salzborn. Schwierig sei auch die separate Einvernahme von Zeugen, etwa bei unvertretenen Angeklagten. Das werde zwar bei stark verängstigten Zeugen gemacht, gänzlich vermieden werden könnten unangenehme Situationen aber nicht. „Wir brauchen teilweise solche Situationen, da hier manche Zeugen aus eingeübten Mustern brechen und das für die Beweiswürdigung wichtig ist“, betont Salzborn.

Ausbildung mit 66 Einheiten

Um mehr Verständnis für die jeweils andere Seite im Gerichtssaal zu haben, aber auch, um das erforderliche Fachwissen von Prozessbegleitern aufzubauen, wird im Oktober der erste von drei Durchgängen der Ausbildung neu starten. Sie besteht aus einem allgemeinen und einem spezifischen Teil hinsichtlich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Frauen und situativen Gewaltopfern. „Es gilt, 66 Einheiten à 45 Minuten zu absolvieren“, sagt Thurner. Zwei Kurse werden im Justiz-Bildungszentrum Schwechat angeboten, ein dritter in Kitzbühel. Hinzu kommen Schulungen in den jeweiligen Opferhilfeeinrichtungen. Thurner: „Es wurde nachgeschärft und ergänzt, etwa um die Begleitung männlicher Opfer oder den Bereich des Menschenhandels.“

Wie viele Prozessbegleiter es aktuell gibt, ist unklar. Schätzungen gehen von 250 bis 300 im psychosozialen und etwa 150 im juristischen Bereich aus. Fest steht dagegen, dass 46 Opferschutzeinrichtungen Prozessbegleitung anbieten – darunter auch der Weiße Ring. Ihm zufolge stieg die Zahl der begleiteten Personen von 52 Opfern im Jahr 2000 auf 4811 im Jahr 2013. Thurner nennt für 2014 eine Jahresfallzahl von 7300, davon 2374 Körperverletzungen, gefolgt von gefährlichen Drohungen/Nötigungen und sexuellem Missbrauch.

Bezahlt wird eine Prozessbegleitung vom Justizministerium, unabhängig vom finanziellen Hintergrund des Opfers. Pro Jahr entspricht das rund 5,5 Millionen Euro– Tendenz steigend. Bei einem Schuldspruch kann das aufgewendete Geld vom verurteilten Straftäter zurückverlangt werden, wobei die Grenze bei 1000 Euro liegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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