Pleiten: Wenn gutes Geld schlechtem folgt

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Viele Zwangsvollstreckungen – vulgo Pfändungen – erfolgen gegen Personen, die eigentlich Konkurs anmelden müssten. Und verlaufen deshalb trotz Kosten ergebnislos.

WIEN. Eine ungeheure Zahl von Exekutionsverfahren verläuft nahezu ertraglos. Denn die Mehrheit der Schuldner, gegen die zwangsvollstreckt wird, ist insolvent und damit eigentlich ein Fall für das Konkursgericht. Ein Blick in die USA zeigt, wie eine österreichische Reform der Schnittstelle von Exekutions- und Insolvenzrecht nicht aussehen sollte.

Den Lehrbüchern zur Exekutionsordnung zufolge richten sich Zwangsvollstreckungen gegen solche Schuldner, die zwar zahlen könnten, aber nicht wollen. Es schadet daher auch nicht, dass im Exekutionsverfahren das Prinzip „Wer zuerst kommt, kassiert zuerst“ gilt. Schließlich sind – so die Theorie – genügend Vermögenswerte vorhanden, um letztlich alle Gläubiger zu befriedigen. Für den Verpflichteten gibt es in der Zwangsvollstreckung auch nur eine Form, die Schulden loszuwerden: die Vollzahlung.

Nur jeder Fünfte zahlt voll

Univ.-Prof. Andreas Konecny, Vorstand des Wiener Instituts für Zivilverfahrensrecht, weist für das österreichische Exekutionsverfahren freilich darauf hin, dass die Praxis von dieser Theorie meilenweit entfernt ist. Exekutionspraktiker schätzen, dass die Mehrzahl der Verpflichteten – mitunter ist von 80 Prozent die Rede – zahlungsunfähig ist und damit eigentlich ein Fall für den Konkursrichter wäre. Wenngleich zuverlässiges statistisches Material bedauerlicherweise kaum vorhanden ist, so lassen sich diese Schätzungen durch konkrete Zahlen untermauern: Im Rahmen der Fahrnisexekution wurden in den Jahren 2004 und 2005 jeweils nur rund zwölf Prozent des Forderungsvolumens eingebracht. In weniger als 20 Prozent der Verfahren kam es zur Vollzahlung. Von Jänner 2004 bis April 2007 blieb etwa ein Drittel der Verfahren völlig ergebnislos.

Diese Zahlen gewinnen an Dramatik, wenn man bedenkt, dass 2007 (meist kombiniert) 760.200 Forderungs- und 930.787 Fahrnisexekutionen beantragt wurden. Diese ungeheure Anzahl an weitgehend fruchtlosen Exekutionsverfahren finanzieren die Gläubiger (vielfach endgültig) – sie schmeißen somit, wie Konecny treffend formuliert, ihr gutes Geld schlechtem Geld nach.

Die Gründe für diese tiefe Kluft zwischen Theorie und Wirklichkeit sind vielfältig. Zunächst ist zu bedenken, dass im Vollstreckungsverfahren in aller Regel nur sehr geringe Erlöse erzielt werden. Schließlich bestehen nur wenig Anreize, Waren wie Computer, Fernsehgeräte, Musikanlagen, Gebrauchtwagen usw. – sofern der Verpflichtete solche überhaupt noch besitzt und sie nicht von der Pfändung ausgeschlossen sind – unter Gewährleistungsausschluss im Rahmen der Zwangsvollstreckung zu erwerben, wenn es sie allerorts im (Online-)Handel günstig zu kaufen gibt. Den durchschnittlichen Ertrag von Gehaltsexekutionen schmälert neben der relativ hohen Arbeitslosigkeit vor allem die Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen. Und schließlich sind die – im internationalen Vergleich – eher strengen gesetzlichen Anforderungen an eine Restschuldbefreiung im Rahmen eines Konkursverfahrens mitverantwortlich. So erfordert ein Schuldennachlass, der nicht von der Mehrheit der Gläubiger mitgetragen wird, die Abzahlung von mindestens zehn Prozent der Gesamtverbindlichkeiten binnen maximal zehn Jahren. Dies mag auf den ersten Blick geradezu geschenkt erscheinen. Insbesondere einkommenslose oder -schwache Schuldner haben damit aber keine realistische Chance auf eine Restschuldbefreiung. Sie bleiben folglich im „modernen Schuldturm“, dem Exekutionsverfahren, gefangen. Konecny fasst dieses paradoxe Ergebnis wie folgt zusammen: Je „zahlungsunfähiger“ ein Schuldner ist, umso eher ist er ein Fall für die Zwangsvollstreckung. Ohne Zweifel besteht somit ein dringendes Bedürfnis, die Schnittstelle von Exekutions- und Insolvenzverfahren grundlegend zu reformieren, sodass es öfter zu einer geordneten Schuldenregulierung anstatt eines Gläubigerwettlaufs kommt. Entsprechende Reformvorhaben liegen dem Vernehmen nach derzeit auf Eis.

USA kein Vorbild

Mit Prof. Paul Lewis von der John Marshall Law School in Chicago (USA) hatte das Wiener Institut für Zivilverfahrensrecht vorige Woche einen Insolvenzexperten aus einer Rechtsordnung zu Gast, in der erst 2005 an der entsprechenden Schraube gedreht wurde (Bankruptcy Abuse Prevention and Consumer Protection Act of 2005). Offenbar in die falsche Richtung. Die Bush-Administration hatte aus Angst vor Missbrauch von sehr großzügigen und verbreitet beanspruchten Restschuldbefreiungsmöglichkeiten den Zugang zu bestimmten Formen des Insolvenzverfahrens (Chapter 7 des US Bankruptcy Code) dramatisch erschwert. Diese Angst dürfte freilich überzogen gewesen sein, da Expertenmeinungen zufolge 90 Prozent der Insolvenzfälle, die über Chapter 7 bereinigt wurden, auf Krankheit und/oder andere dramatische – jedenfalls aber unverschuldete – Ereignisse zurückzuführen waren. Die Folgen dieser Reform wurden durch die kurz darauf einsetzende Immobilienkrise potenziert, sodass die Zahl der gerichtlichen Exekutionsverfahren in den USA explosionsartig anstieg. Während im ersten Quartal 2005 zirka 170.000 Zwangsverwertungen von Eigenheimen initiiert worden waren, seien es im dritten Quartal 2008 etwa 490.000 gewesen. In seinem Vortrag erklärte Lewis außerdem anschaulich die Hintergründe der US-Immobilienkrise. Der Erfolg der (geplanten) Gegenmaßnahmen, die blumige Namen wie „Hope for Homeowners Program“ oder „Helping Families Save Their Homes Act of 2009“ tragen, bleibt noch abzuwarten.

Mag. Geroldinger ist Assistent am Institut für Zivilverfahrensrecht der Uni Wien; andreas. geroldinger@univie.ac.at

[Schweitzer-degen / fotolia]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2009)

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