VW-Affäre: Wer kann was von wem verlangen?

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Nach der Manipulation des Abgasausstoßes seiner Autos kommen auf den VW-Konzern Milliardenforderungen zu. Mit einer Irrtumsanfechtung könnten sich Fahrer wohl am einfachsten der Autos entledigen.

Wien. 363.400 Diesel-Autos aus dem VW-Konzern (VW, Audi, Seat, Škoda) sind in Österreich von den Abgasmanipulationen des deutschen Herstellers betroffen. Für die Besitzer stellt sich die Frage, was sie aus diesem Grund von wem verlangen können. Aber nicht nur für sie: Auch Händler, Mitbewerber oder Aktionäre könnten Ansprüche stellen. Ein Überblick über die rechtlichen Möglichkeiten – in Österreich, wohlgemerkt. Vom drakonischen Strafschadenersatz (Punitive Damages), der VW in den USA droht, ist hier nicht die Rede.

1. Eine versprochene Eigenschaft fehlt. Ein Fall der Gewährleistung?

Auf jeden Fall. „Das ist das Naheliegendste“, sagt Christian Huber, ein aus Österreich stammender Zivilrechtsprofessor an der RWTH Aachen. Den Fahrzeugen fehlt eine zugesagte Eigenschaft. Zur Mangelbehebung im Rahmen der Gewährleistung ist der Vertragspartner verpflichtet, in aller Regel ein Kfz-Händler in Österreich (Ausnahme: Direktkauf beim Hersteller). Die Frist beträgt zwei Jahre ab Übergabe; unter dem Druck der Öffentlichkeit werden VW und die Händler aber nicht umhinkönnen, auch ältere Modelle auf die vertraglich zugesagten Abgaswerte zu bringen. Der Konzern hat angekündigt, im Jänner mit den Arbeiten an den Motoren zu beginnen(!). Für Huber reichlich spät: Mängel müssten innerhalb einer angemessenen Frist von zwei bis vielleicht maximal sechs Wochen behoben werden, meint der Experte. Bleibt auch eine kurze Nachfrist ungenutzt, könnte der Kunde das Fahrzeug zurückgeben und den Preis abzüglich eines Benützungsentgelts zurückverlangen.

2. Käufer waren im Irrtum über das Auto. Irrtumsanfechtung möglich?

Wird ein Käufer über eine wesentliche Eigenschaft in die Irre geführt, kann er den Vertrag auflösen. Zivilrechtsexperte Huber: „Ob die Schadstoffwerte etwas höher oder niedriger sind, wird nicht so ins Gewicht fallen. Aber der Irrtum, ein von Manipulationen freies Auto gekauft zu haben, kann sehr wohl eine Rolle spielen.“ Die Irrtumsanfechtung ist sogar die stärkere „Waffe“ als die Gewährleistung: Abgesehen davon, dass sie drei Jahre ab dem Kaufvertrag möglich ist, kann der Verkäufer sie, anders als im Fall einer zeitgerechten Behebung von Mängeln, dem Käufer mit nichts nehmen. Sehr bald könnten sich Händler also im Besitz zahlreicher schwer verkäuflicher Gebrauchtwagen sehen.

3. Die Autos sind jetzt weniger wert. Ein Grund für Schadenersatz?

Das ist nicht so einfach. Unbestritten haben die manipulierten Autos an Wert verloren. Wahrscheinlich sogar dauerhaft, also auch dann, wenn sie einst technisch nachgebessert sein sollten und ehrlich auf die richtigen Abgaswerte kommen. Warum? Huber verweist auf den „merkantilen Minderwert“. Auch bei einem Unfallschaden kann dafür Ersatz verlangt werden, dass ein potenzieller Käufer für ein einwandfrei repariertes Auto weniger bezahlt als für ein Auto ohne Unfall. Die Interessenlage ist hier ganz ähnlich. Aber es geht bei den Abgasmanipulationen nicht um verbeultes Blech, sondern einen reinen Vermögensschaden. Solche Schäden sind nur beschränkt ersatzfähig, hier nur im Rahmen von vertraglichen Beziehungen. Den Kaufvertrag haben Autobesitzer üblicherweise mit einem Händler abgeschlossen. Und diesen trifft kein Verschulden an der werksseitigen Manipulation an den Autos. Daher besteht kein Schadenersatzanspruch gegen ihn, ebenso wenig gegen den Hersteller des Autos, weil dessen Besitzer mit ihm in keiner Vertragsbeziehung steht. Auch hier gilt aber die Ausnahme: Sollte der Einzelne sein Auto direkt im Werk gekauft haben, kann er a) auch den Vermögensschaden geltend machen und b) wird das Verschulden des Verkäufers vermutet. Dieser muss sich die Manipulationen seiner Mitarbeiter zurechnen lassen.

4. Würde Schadenersatz einen Weiterverkauf des Autos voraussetzen?

Schadenersatz wegen der Wertminderung kommt, wie gesagt, nur dann infrage, wenn das Auto ausnahmsweise direkt vom Hersteller gekauft wurde. Dann aber kann der Ersatz unabhängig davon verlangt werden, ob das Auto bereits weiterverkauft und der Schaden damit realisiert wurde oder noch nicht. Huber zufolge ist in der österreichischen Rechtsprechung seit Jahrzehnten anerkannt, dass der merkantile Minderwert in beiden Fällen gleichermaßen zu ersetzen ist.

5. Mitbewerber orten unlautere Wettbewerbsvorteile von VW. Zu Recht?

Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) bietet zwei Ansatzpunkte für eine Haftung von VW. Es gilt schon als unfaires Verhalten, den Jahresabschluss nicht offenzulegen – umso mehr muss dies dann zutreffen, wenn ein Mitbewerber systematische Manipulationen nicht offenlegt. Auch die Täuschung über wesentliche Merkmale eines Produkts ist UWG-widrig. Der Vorteil dieser Rechtsgrundlagen: Auch reine Vermögensschäden (siehe 3) sind ersatzfähig. Die Frage ist aber, wer in diesem Fall in Anspruch genommen werden kann: Die Händler scheiden aus, weil sie allem Anschein nach ja selbst getäuscht wurden. Sehr wohl in den Wettbewerb eingegriffen hat aber der Hersteller. Eine Haftung gegenüber einem Konkurrenzhändler würde aber voraussetzen, dass dieser VW ein Verschulden eines Organs (Vorstands) oder eines sogenannten Machthabers (leitenden Angestellten) nachweisen kann. Für Huber stellt sich zunächst die Frage, was die Verantwortlichen wussten; hatten sie von nichts eine Ahnung, dann wäre als Nächstes ein Organisationsverschulden zu prüfen. Es könnte ja etwas mit der gebotenen Überwachung nicht gestimmt haben. Bleibt noch das Problem der Schadenshöhe: Ein Mitbewerber müsste z. B. anhand von Umsatzzahlen vor und nach dem Auffliegen des Skandals konkrete Anhaltspunkte für die Dimension des Schadens liefern; der Richter könnte dann die Höhe schätzen.

6. Vertragshändler registrieren einen Umsatzrückgang. Haftet VW?

Die Diesel-Affäre mag den einen oder anderen potenziellen Kunden davon abhalten, ein Fahrzeug aus dem VW-Konzern zu kaufen; zumindest aber werden Händler größere Rabatte geben müssen. Können sie wegen Umsatzeinbußen (reine Vermögensschäden – siehe 3) den Hersteller belangen? Universitätsprofessor Huber hält dies für sehr gut möglich. Die Händler stünden ja in einer direkten Vertragsbeziehung mit dem Hersteller; dieser beliefert sie nicht nur, sondern schreibt ihnen auch allerhand über Marktauftritt, Mitarbeiterschulungen usw. vor. „Es gibt Loyalitäts- und Förderpflichten zwischen dem Hersteller und dem Händler. Der Hersteller darf den Händler nicht dumm sterben lassen“, so Huber. Vertragswidriges Verhalten führt zu einer Beweislastumkehr punkto Verschulden und macht Vermögensschäden ersatzfähig. Ob freilich ein Händler Ansprüche auch faktisch durchsetzt und damit riskiert, bald nicht mehr Vertragshändler zu sein, ist eine andere Frage.

7. Die Luftverschmutzung hat zugenommen. Können Einzelne klagen?

Wohl kaum. Das bisschen Mehr, das manipulierte Motoren aus dem Auspuff geblasen haben, fällt angesichts aller anderer Umweltverschmutzungen nicht ins Gewicht.

8. Aktionäre sehen den Kurs massiv gesunken. Wer haftet?

Dies ist – da der VW-Konzern seinen Sitz in Deutschland hat – nach deutschem Recht zu beurteilen. Eine Klage des einzelnen Aktionärs gegen den Vorstand ist ausgeschlossen; die Gesellschaft selbst könnte aber ihre Organe klagen. Selbst durch D&O-Versicherungen mit beträchtlicher Versicherungssumme wird nicht der gesamte Schaden gedeckt sein.

9. Auch von manipulierten CO2-Werten ist die Rede. Geld für den Fiskus?

Sollte sich herausstellen, dass auch CO2-Werte manipuliert wurden, könnte das Steuernachforderungen nach sich ziehen. Die beim Kauf von Neuwagen fällige Normverbrauchsabgabe wurde immer stärker vom CO2-Ausstoß abhängig. Falsche Ausgangswerte könnten den Fiskus animieren nachzufassen. Die Frage ist nur, bei wem. Die NoVA muss von den Händlern abgeführt werden. Sollten Nachforderungen gegen sie erhoben werden, könnten sie Regress beim Hersteller nehmen. Diesem könnte außerdem ein Finanzstrafverfahren drohen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2015)

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