Syrien: Moskaus Intervention heizt Stellvertreterkrieg an

Russischer Luftangriff auf Syrien.
Russischer Luftangriff auf Syrien.(c) AFP (HO)
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Putin wirft Westen mangelnde Kooperation vor. Washington liefert Waffen an die Rebellen. Terrormiliz IS ruft unterdessen zu Heiligem Krieg gegen USA und Russland auf.

Seit mehr als zwei Wochen sind russische Kampfflugzeuge in Syrien im Einsatz – offiziell, um den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Jedoch wurde die Terrorgruppe bisher kaum getroffen. Nur etwa zehn Prozent der russischen Einsätze richteten sich gegen die IS-Extremisten, der Rest gegen andere, moderatere Rebellengruppen – auch solche, die von den USA bewaffnet und unterstützt werden. Dafür erntet Moskau Kritik aus dem Westen – Kritik, auf die Russlands Präsident, Wladimir Putin, nun barsch reagiert hat: Washington habe es abgelehnt, Moskau eine Liste möglicher Angriffsziele zu übermitteln, werfe aber zugleich den Russen vor, die falschen Ziele zu bombardieren. „Ich glaube, einige unserer Partner haben nur Brei im Kopf.“

Am Wochenende gab es in der Luft einen Vorfall zwischen den Ländern: Russische und US-Jets kamen sich über Syrien gefährlich, nämlich auf Sichtweite, nahe, teilte das US-Militär gestern mit.

Angesichts des russischen Engagements beginnen jetzt auch die Amerikaner, ihre Aktivitäten in Syrien zu verstärken. Laut einem Militärsprecher haben nun C-17-Transportflugzeuge im Norden Syriens 50 Tonnen an Waffen und Munition abgeworfen, um damit verbündete Einheiten zu unterstützen. Laut dem US-Nachrichtensender CNN ging das Material an Milizen in der Provinz Hassakah. Dort kämpft ein Bündnis aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), arabischen Kräften und einer assyrisch-christlich Miliz gegen den Islamischen Staat.

Vorwürfe von Amnesty gegen Kurden

Vor allem die YPG haben dem IS schwer zugesetzt. Sie sind Verbündete der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führt. Nach der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhebt nun aber auch Amnesty International (AI) schwere Vorwürfe gegen die YPG: Die kurdischen Einheiten sollen im Norden Syriens tausende Bewohner arabischer Dörfer vertrieben haben. Häuser von Arabern seien in Brand gesteckt worden. Offenbar waren den Opfern der Übergriffe Verbindungen zum IS vorgeworfen worden. Amnesty spricht von Kriegsverbrechen und beruft sich auf Gespräche mit 37 Bewohnern der Provinzen Hassakah und Raqqa und die Auswertung von Satellitenfotos. Ein Sprecher der YPG wies die Vorwürfe zurück.

Die Hauptfeinde der YPG sind der Islamische Staat und die mit al-Qaida verbündete al-Nusrah-Front. Mit den Truppen des syrischen Regimes von Bashar al-Assad scheint es bisher eine Art Stillhalteabkommen zu geben.

Assad versucht derweil mithilfe Russlands alle anderen Rebellengruppen aus den westlichen Teilen des Landes zu vertreiben. Die Aufständischen schlagen sich aber unerwartet gut – vor allem dank der amerikanischen Waffen. Mit den TOW-Panzerabwehrraketen, die der CIA in einer Geheimoperation ins Land gebracht hatte, konnten die Rebellen die Vorstöße der syrischen Armee in den vergangenen Tagen mehrfach stoppen. Rund 30 Panzer und über zehn gepanzerte Fahrzeuge wollen die Aufständischen mit ihren TOWs zerstört haben.

„Russland will die FSA vernichten“

„Das syrische Regime dachte wohl, durch die russischen Bomben hätte es ein leichtes Spiel“, sagt Mustafa al-Hussein zur „Presse“. „Aber das Gegenteil ist der Fall.“ Al-Hussein ist einer von etwa 2000 Kämpfern der Rebellengruppe Sukur al-Jabal, die von den USA mit Waffen ausgerüstet wurden. Sukur al-Jabal verstehen sich als Teil der Freien Syrischen Armee (FSA), des Rebellenzusammenschlusses, der Assad stürzen will. Die Rebellen haben in der Gegend um die Stadt Hama bisher sowohl dem IS als auch den Assad-Truppen erfolgreich die Stirn geboten. Jetzt ist ein neuer Feind dazugekommen, der ihre Trainingslager und Basen zerstört.

„Russland will die FSA vernichten“, glaubt Jussef, ein Medienaktivist der Ersten Brigade aus Aleppo, die jetzt Verstärkung nach Hama geschickt hat. „Ohne moderate Rebellen gibt es für den Westen keinen Grund mehr, die Revolution zu unterstützen“, erklärt der erst 23-Jährige. „Wenn allein al-Qaida und andere Islamisten übrig sind, dann will keiner mehr etwas damit zu tun haben.“

Das russische Militär scheint sich bei seinen Operationen in Syrien um die ideologische Ausrichtungen seiner Gegner nicht zu kümmern. Angegriffen werden Stellungen und Nachschubrouten aller möglichen Gruppen. Es geht nur darum, den Weg für Syriens Armee freizubomben. Die territorialen Gewinne der Rebellen sollen revidiert werden, um das Regime und seine Machtbasis entlang der Mittelmeerküste abzusichern.

Die wichtigsten Helfer der Rebellen, die Türkei, Saudiarabien und Qatar, werden angesichts der russischen Operationen nicht stillhalten. Saudiarabien soll in den vergangenen Tagen 500 TOW-Raketen nach Syrien geschleust haben. Und noch mehr ist versprochen, wie aus offiziellen Kreisen in den Golfstaaten zu erfahren ist. Gerüchten zufolge könnten sogar Boden-Luft-Raketen geliefert werden. Der Stellvertreterkrieg in Syrien wird damit weiter angeheizt.

IS ruft zu "Heiligem Krieg" auf

Die Extremistenmiliz IS ruft unterdessen in einer Audiobotschaft zum Heiligen Krieg gegen Russen und US-Amerikaner auf. "Islamische Jugend der Welt, entzündet den Jihad gegen Russen und Amerikaner in ihrem Kreuzzug gegen Muslime", hieß es in der Botschaft, die am Dienstag verbreitet wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)

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