Von Menschenhändlern genötigt: Opfer brauchen als Täter Schutz

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Das Justizministerium plant Verbesserungen zum Schutz der Opfer von Straftaten; besondere Regeln für Menschenhandelsopfer als Straftäter fehlen aber noch.

München. Opfer sollen in Zukunft verlangen können, verständigt zu werden, sollte ein festgenommener Verdächtiger flüchten; jugendliche Opfer sollen im Strafprozess schonender befragt werden; besondere Schutzbedürftigkeit von Opfern soll durch eine möglichst frühzeitige Begutachtung erkannt werden: Das sind wichtige und notwendige Änderungen zum Schutz von Kriminalitätsopfern im vorliegenden Entwurf zur Reform der Strafprozessordnung. Nicht jedoch wurde der dringend nötige Schutz von Menschenhandelsopfern erweitert.

Dass Opfer von Menschenhändlern in Österreich noch nicht den ihnen aufgrund ihrer Menschenwürde und ihrer Menschenrechte gebührenden Schutz erfahren, wurde erst kürzlich von der Europarat-Gruppe gegen Menschenhandel scharf kritisiert. Der Bericht verweist unter anderem auf Fälle, in denen Menschenhandelsopfer als Täter von Urkundenfälschungen zu Einreisezwecken, Diebstählen, Betrügereien oder Geldwäsche strafrechtlich verfolgt und bestraft wurden – trotz konkreter Hinweise darauf, dass die Opfer unter massiver Bedrohung durch die Menschenhändler zu diesen strafbaren Handlungen gezwungen worden waren.

Nach derzeitiger österreichischer Rechtslage müssen solche „Opfer-Täter“ wegen ihrer strafbaren Handlungen vor Gericht – ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern unter Nötigung und Drohung der Menschenhändler die Taten begangen haben. Europäische Gesetzesvorgaben, die in den nationalen Rechtsordnungen verankert werden müssen, tragen diesem Umstand Rechnung und verlangen nach einer Möglichkeit, Menschenhandelsopfer strafrechtlich nicht zu verfolgen bzw. zu bestrafen, wenn diese durch einen Menschenhändler zum Gesetzesbruch genötigt wurden.

Österreich wird dieser Forderung noch nicht gerecht. Auch wenn es in Einzelfällen in der Praxis zu Freisprüchen kommen kann, gibt es jedoch keine Bestimmung, die es der Staatsanwaltschaft ermöglicht, bei Tätern, die eindeutig als Menschenhandelsopfer identifiziert wurden, die Verfolgung zu unterlassen, bzw. die es dem Gericht ermöglicht, das Verfahren ohne Verurteilung zu beenden.

Straffreiheit durch Anzeige?

Andere Länder hingegen haben bereits Gesetzesänderungen vorgenommen oder Reformvorschläge angebracht, die eine Nichtverfolgung bzw. Nichtbestrafung von Tätern, die innerhalb ihrer Opfereigenschaft gehandelt haben, ermöglichen. Beispielsweise enthält die deutsche Strafprozessordnung eine Regelung, nach der die Staatsanwaltschaft im Falle der Anzeige einer Nötigung oder Drohung durch das Opfer selbst von dessen strafrechtlicher Verfolgung absehen kann. Auch wenn dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, sollte der Schutz der Menschenhandelsopfer nicht unbedingt von ihrem Beitrag zur Verfolgung des Menschenhändlers abhängen. Vielmehr sollte ein Absehen der Verfolgung oder von Strafe bereits bei begründetem Verdacht ermöglicht werden, dass es sich beim Täter um ein Menschenhandelsopfer handelt, das aufgrund von Drohung oder Nötigung durch den Menschenhändler die aufgedeckte Straftat begangen hat.

Vorstellbar wäre etwa auch eine Art Schuldspruch ohne Strafe, um so auch den Opfern der vom „Opfer-Täter“ begangenen strafbaren Handlungen im Falle von Diebstählen oder Betrügereien zumindest annähernd gerecht zu werden.

Dass ein solcher oder ein ähnlicher Reformvorschlag zum Schutz von Menschenhandelsopfern im Zuge dieser Reform ausgeblieben ist, wiegt umso schwerer, blickt man auf die aktuelle Flüchtlingskrise, durch die auch die Gefahr von Menschenhandel und der damit einhergehenden Ausbeutung von Menschen wächst.


Dr. Karin Bruckmüller ist an der Uni Linz (JKU) und an der Uni München (LMU), Magdalena Muttenthaler an der LMU tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2015)

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