Terrorabwehr: "Bei schwersten Taten Computer infiltrieren"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Susanne Reindl-Krauskopf, Leiterin einer Forschungsstelle für Law Enforcement, im Interview darüber, was die Polizei wirklich braucht.

Die Presse. Was braucht die Polizei, um die Bevölkerung vor Terroranschlägen wie jene in Paris zu schützen?

Susanne Reindl-Krauskopf. Wir haben in Österreich keine so schlechte Gesetzeslage, was das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) und die Strafprozessordnung (StPO) angeht. Aber es gibt einzelne Punkte, die schon vor den Anschlägen in Paris diskutiert worden sind und die optimierungsbedürftig sind.

Nämlich?

Ein Beispiel ist die erweiterte Gefahrenerforschung nach dem SPG in Bezug auf Einzelpersonen (z. B. Observation, Anm.). Derzeit muss die Person sich entweder öffentlich geäußert haben und, vereinfacht gesagt, mit Terror sympathisiert haben oder sich Mittel und Kenntnisse verschafft haben, um entsprechende Taten begehen zu können. Das bereitet Schwierigkeiten in der Anwendung. Denken Sie an einen Syrien-Rückkehrer, der verdächtig ist, den IS zu unterstützen; das gibt er in der Vernehmung sogar gegenüber den Behörden zu. Trotzdem ist er kein Fall für die erweiterte Gefahrenerforschung, weil er sich nicht öffentlich geäußert hat.

Und die Mittel und Kenntnisse?

Auch das ist ein Problem, weil sich die Menschen sehr häufig entweder Mittel oder Kenntnisse verschafft haben, aber nicht beides gleichzeitig. Das sind Dinge, die man unabhängig von Paris nachschärfen sollte.

Auch Fristen im SPG sollen anlässlich des Staatsschutzgesetzes geändert werden.

Bezogen auf die Einzelperson kann der Rechtsschutzbeauftragte maximal für neun Monate zu Maßnahmen der erweiterten Gefahrenerforschung ermächtigen. Die Gefahrenlage kann aber auch nach neun Monaten noch so sein, dass man die Person weiter beobachten müsste. Aber nach neun Monaten ist Schluss. Das ist ein Problem, wenn die Person zwischendurch im Ausland ist oder wenn Vernetzungen nicht gleich klar sind.

Die Frist zur Aufbewahrung von Daten müsste auch verlängert werden.

Ja. Im Moment müssen mit dem Ende der Aufgabe die Daten sofort gelöscht werden. Auch das kann zu Schwierigkeiten führen, etwa wenn jemand länger im Ausland ist. Selbst wenn man Hinweise bekommt, dass er dort gefährlich tätig war, muss man nach neun Monaten von vorn beginnen. Das soll kein Plädoyer für unendliche Beobachtungsmöglichkeiten sein, aber es zeigt, dass wir mit einer anfangs zu Recht so streng angelegten Maßnahme auf Grenzen stoßen können, die wir so nicht wollen und wo man durchaus zu einer verhältnismäßigen Weiterverarbeitung von Daten kommen könnte. Darüber sollte man offen und besonnen diskutieren.

Die Koalition hat sich gestern auf sechs Jahre geeinigt.

Das passt zu anderen Fristen im SPG; zehn Jahre wären für mich als gesetzliche Regelung nicht mehr verhältnismäßig.

In der ÖVP will man eine neue Vorratsdatenspeicherung. Brauchen wir die?

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man ein neues Konzept entwickeln kann, das für die Strafverfolgung sinnvoll und trotzdem mit den Grundrechten vereinbar ist. Wenn sich der Gesetzgeber zu einer Vorratsdatenspeicherung 2.0 durchringt, sollte er jedenfalls wieder zu einer sehr kurzen Speicherfrist kommen.

In Österreich waren es sechs Monate.

Richtig. Und der Gesetzgeber sollte sich sehr genau überlegen, für welche Taten er eine Auskunft zulässt. Es sollten nur die schwersten Straftaten sein, wir sollten eine doppelte formale Kontrolle haben, also eine gerichtliche Bewilligung und die Einbindung des Rechtsschutzbeauftragten nach der StPO.

ÖVP-Klubchef Lopatka will die Vorratsdatenspeicherung auf amtsbekannte Terrorsympathisanten beschränken.

Da stellen sich schon einige Fragen. Wer ist denn amtsbekannt? Ist das jemand, der von einem ausländischen Geheimdienst als gefährlich eingestuft wurde, jemand, der unseren Behörden bekannt geworden ist, jemand, der schon straftatverdächtig im Sinn der StPO ist, oder jemand, der bereits wegen einer einschlägigen Tat verurteilt worden ist? Die nächste Frage ist: Welcher Zweck wird mit der Speicherung verfolgt? Ist es, um einen Beweis zu haben, falls eine Straftat begangen wurde, oder soll es eine Präventionsmaßnahme sein? Grundsätzlich läge die Beschränkung auf bestimmte Personen aber wohl auf der Linie des Europäischen Gerichtshofs.

Sicher sind Sie nicht.

Man mag sehr gut begründen können, warum es gerade diese Personengruppe in ihrem Grundrecht auf Datenschutz trifft. Aber man wird sich überlegen müssen, ob das nicht auch auf andere möglicherweise kriminelle Personengruppen zutrifft.

Das Justizministerium prüft eine Verbesserung der individuellen Telefonüberwachung. Sehen Sie da einen Bedarf?

Ja. Professionelle Täter kommunizieren verschlüsselt. Bei der klassischen Kommunikationsüberwachung setzt sich die Behörde bildlich gesprochen in einen Netzknotenpunkt, über den die Datenströme laufen, und protokolliert mit. Wenn ich das bei der verschlüsselten Kommunikation tue, habe ich die verschlüsselten Datenströme, kann sie aber in aller Regel nicht entschlüsseln, weil ich den Schlüssel des Kommunikationspartners nicht habe. Bei Personen, die einer sehr schweren Straftat dringend verdächtigt werden, sollte der Gesetzgeber nachbessern.

Das wird auch in Deutschland diskutiert.

Ja, unter dem Stichwort der Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Das Problem ist, dass man an der Quelle der Kommunikation zugreift in dem Moment, in dem die Kommunikation noch nicht verschlüsselt oder schon wieder entschlüsselt ist. Damit denken wir sofort an Online-Durchsuchung und Online-Überwachung des gesamten Verhaltens am PC. Das ist natürlich nicht gemeint. Wenn man Spionage-Software einschleust, muss man technische Lösungen finden, die sicherstellen, dass sich dieses Programm nur bei Kommunikationsvorgängen aktiviert, dass das infiltrierte System nicht beschädigt oder verändert wird. Rechtlich braucht man eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, die alle Kautelen wie bei der Telefonüberwachung erfüllt, und nach dem Vorbild des großen Lauschangriffs eine gesonderte gerichtliche Bewilligung.

Diskutiert wird Simpleres: Hausarrest, Fußfesseln für potenzielle Terroristen.

Also ein Selbstmordattentäter wird sich durch eine Fußfessel nicht davon abhalten lassen, sich in die Luft zu sprengen, denn dann sprengt er die Fußfessel mit. Der Hausarrest wird ihn vielleicht daran hindern, irgendwohin zu gehen, wo er sich in die Luft sprengen könnte. Aber in beiden Fällen haben wir rechtliche Probleme. Wenn mit dem Hausarrest gemeint ist, dass er wirklich in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt ist, dann müssen wir die Maßnahme auch am Grundrecht auf persönliche Freiheit des Art 5 EMRK messen und am Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG). Dort haben wir bestimmte Fälle vorgegeben, wann wir jemanden in seiner Freiheit beschränken dürfen. Wenn es um Tatverdächtige geht, haben wir jetzt schon die U-Haft und gelindere Mittel oder die alternative Möglichkeit des Hausarrests.

Wir sprechen aber von Präventivhaft.

Ja, da geht es um Personen, die diesen Verdachtsgrad noch nicht erreichen. Und da haben wir ein grundrechtliches Problem. Denn dazu gibt es keinen Fall im Verfassungsrecht, in dem wir die Freiheit einschränken dürften. Nun können wir das PersFrG ändern, wenn man als Gesetzgeber der Meinung ist, man braucht diese Mittel unbedingt. Ich bin da sehr skeptisch, weil es sehr schwierig sein wird, eine Verhältnismäßigkeit auf einen generellen Verdacht hin zu argumentieren. Wo wir aber jedenfalls scheitern würden, ist die Änderung der EMRK.

Frankreich hat bestimmte Garantien der EMRK ausgesetzt.

Das ist zwar möglich, aber vom Ausnahmezustand, wie ihn die EMRK meint, sind wir derzeit in Österreich glücklicherweise ein Stück weit entfernt. Soll also eine echte Freiheitsbeschränkung erzielt werden, sehe ich ganz klare verfassungsrechtliche Schranken. Und wenn eine Fußfessel nicht die Bewegungsfreiheit einschränken soll, sondern man nur wissen will, wo jemand ist, griffe das ins Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art 8 EMRK) ein. Auch dafür brauchten wir eine gesetzliche Grundlage, und die Maßnahme müsste geeignet und notwendig sein, etwa zur Prävention oder zur Strafaufklärung. Und Art 8 verlangt die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Einzelfall. Sie müsste auch befristet sein.

Eine Meldepflicht nach dem Vorbild jener für Hooligans wäre weniger intensiv.

Die Meldepflicht ist jedenfalls das gelindere Mittel und insofern am ehesten vorstellbar. Man muss sich nur bewusst sein, dass man auch Hooligans nicht einfach mit einer Meldeauflage versieht, weil sie als Hooligans gelten, sondern erst dann, wenn sie bereits auffällig geworden sind, indem sie einen gefährlichen Angriff gesetzt haben oder sich über behördliche Auflagen hinweggesetzt haben. So einen Ansatzpunkt müsste man sich auch für die Syrien-Rückkehrer überlegen. Es sind nicht nur Leute in Syrien gewesen, die sich beim IS engagieren.

ZUR PERSON

Susanne Reindl-Krauskopf, Linzerin des Jahrgangs 1971, hat sich 2003 an der Universität Wien für Strafrecht und Strafprozessrecht habilitiert. Sie ist Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie. 2010 bis 2014 war sie Vizedekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Seit 2011 leitet sie das ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences), das erste Polizei- und Justizforschungszentrum in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2015)

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