Die Pistenraupe darf nur selten raus

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Liftbetreiber riskieren eine Haftung, wenn sie die Piste präparieren, während Leute fahren.

Wien. Ein Skifahrer war über eine unübersichtliche Kante gesprungen und mit einem vom Betriebsleiter der Liftgesellschaft gelenkten Skidoo kollidiert. Das Erstgericht hatte die Schmerzengeldforderungen des zum Unfallzeitpunkt 15-jährigen Skifahrers wegen Verletzung des Gebots „Fahren auf Sicht“ abgewiesen, der Oberste Gerichtshof (OGH) lastete dem Betriebsleiter aber ein Drittel Mitverschulden an, weil er angegeben hatte, dass er „mit seiner Runde eigentlich fertig“ gewesen war (2 Ob 154/15h).

Die Reaktionen der Leser auf diese in der „Presse“ vom 21. Dezember veröffentlichte Entscheidung waren kritisch. Eine Überprüfung der hierzu ergangenen Judikatur ergibt allerdings, dass dieses Thema keineswegs neu ist und, soweit überblickbar, seit 1986 so entschieden wird. Tenor der Entscheidungen ist, dass Liftgesellschaften Fahrten mit Pistengeräten vor Betriebsschluss nur in Ausnahmefällen, und zwar für Rettungseinsätze und für unaufschiebbare Arbeiten an der Skipiste, durchführen sollen. Dazu kommt noch, dass die Seilbahngesellschaften selbst anlässlich eines Rechtssymposiums an ihre Mitglieder die „Empfehlung“ abgegeben hatten, die Benützung von Pistengeräten während des Pistenbetriebs (gemeint Liftbetriebs) nach Möglichkeit zu vermeiden (OGH 27. 1. 2011, 2 Ob 30/10s).

Urteile zeigen klare Tendenz

Im Folgenden seien von elf einschlägigen Entscheidungen vier kurz beschrieben.
• Mit der ersten Entscheidung (1 Ob 582/86) hatte der OGH bereits 1986 dem Fahrer einer Pistenraupe gegenüber einem Skifahrer, der mit mehr als 50 km/h über eine (unübersichtliche) Kuppe gesprungen und mit der Pistenraupe kollidiert war, ein gleichteiliges Verschulden angelastet. Die Argumentation der beklagten Liftgesellschaft, Grund der Fahrt mit dem Pistengerät sei es gewesen, die Piste zu präparieren, hat die Betriebsgesellschaft und den Fahrer der Pistenraupe nicht entlasten können. Der Fahrer hätte bei Wahl einer anderen Fahrlinie und durch Sicherung der Strecke mithilfe des mitfahrenden Monteurs als Warnposten den Unfall verhindern können. Die vom Erstgericht abgewiesenen Ansprüche des Skifahrers waren vom Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht schon mit einem Drittel und der Begründung einer dem Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) nahe kommenden Gefährdungshaftung zugesprochen worden. Der OGH erhöhte den Mitverschuldensanteil der Liftbetriebsgesellschaft und des Fahrers auf die Hälfte und begründete dies mit den die Liftbetreiber treffenden Verkehrssicherungspflichten auf der Grundlage des unstrittig bestehenden Beförderungsvertrags durch Ankauf einer Liftkarte.
• In der Entscheidung 2 Ob 113/09w bestätigte der OGH sogar eine Verschuldensteilung von 3:1 zulasten des Skidoofahrers der Liftgesellschaft, der mit einer trainierenden Skilehrerin außerhalb der Liftbetriebszeiten kollidiert war: Der Skidoofahrer hätte aufgrund der Vereinbarung der Skischule mit der Liftgesellschaft über die Abhaltung von Trainingsfahrten der Skilehrer außerhalb der Betriebszeiten mit der entgegenkommenden Skilehrerin rechnen müssen.
• In der Entscheidung 9 Ob 80/04m vom 6. 4. 2005 gelangte der OGH zu einem Alleinverschulden der Liftgesellschaft, da diese ein Pistengerät in einem Zufahrtsweg zu einer Seilbahnstation an einer Engstelle abgestellt und den Warnposten nicht entsprechend vor dem Pistengerät aufgestellt hatte. Die klagende Skifahrerin konnte zwar noch vor dem Gerät anhalten, eine nachfolgende Skifahrerin fuhr aber auf Erstere auf und verletzte diese erheblich. Die Haftung der Liftgesellschaft ergibt sich aus dem ungesicherten Abstellen des Pistengeräts an einer Engstelle, wobei damit zu rechnen war, dass dort für nachkommende Skifahrer ein (gefährliches) Hindernis entsteht.
• In der bis heute gültigen Leitentscheidung 2 Ob 30/10s, 27. 1. 2011, der eine Kollision eines Skifahrers nach Sprung über eine Kante und anschließender Flugphase von zwölf Metern (!) bis zur Kollision mit dem Pistengerät zugrunde liegt, hat sich der OGH sehr eingehend mit allen rechtlichen Aspekten der Haftungsgrundlagen auseinandergesetzt.

Der Auftrag der Liftgesellschaft an den Fahrer des Pistengeräts, Schneestangen und Tische von der Skipiste zu entfernen, ist nach Ansicht des OGH kein ausreichender Grund, eine Abfahrt während der Betriebszeit der Lifte mit einem Pistengerät zu befahren. Weiters fehlten im Bereich der Kuppe entsprechende Warnhinweise (Warntafel oder Sicherungsposten). Die vom Berufungsgericht angenommene Haftung nach den Grundsätzen des EKHG „könnten dahinstehen“, da aufgrund des feststehenden Sachverhalts ausreichende Grundlagen vorliegen. Auch in diesem Fall wurde die Haftung mit den Verkehrssicherungspflichten des Liftbetreibers aus dem Beförderungsvertrag begründet, der durch den Kauf der Liftkarte abgeschlossen worden war. Daraus folgt auch die Pflicht der Liftbetriebsgesellschaften, gefährliche Geräte wie Pistengeräte während der Liftbetriebszeiten nicht einzusetzen. Die Verschuldensteilung wurde mit 2:1 zulasten des Skifahrers vorgenommen.

Zumindest Mitverschulden

Daher müssen Liftbetreiber auch in Zukunft bei Einsatz von Pistengeräten während der Liftbetriebszeiten damit rechnen, bei Kollision mit Skifahrern ein Mitverschulden zu verantworten, sofern der Einsatz nicht unmittelbar zur Rettung von Menschen oder zur Sanierung der Piste dient. Bemerkenswert ist, dass für Skifahrer das Prinzip „Fahren auf Sicht“ durch die Verkehrssicherungspflichten der Liftbetreiber zwar nicht außer Kraft gesetzt, aber durch die Verschuldensteilung doch erheblich relativiert wird.


Dr. Johannes Sääf ist emeritierter Rechtsanwalt und Hochschuldozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2016)

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