Familiennachzug für Mörder möglich

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ThemenbildClemens Fabry
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Ein lange zurückliegendes Verbrechen bedeutet nicht zwangsläufig eine heutige Gefährdung der Ordnung und Sicherheit, entschied der VwGH.

Wien. Während die Regierung angesichts der stark gestiegenen Zahl der Asylwerber nach Möglichkeiten sucht, den Familiennachzug zu beschränken, beschäftigt ein bemerkenswerter Fall eines ehemaligen türkischen Gastarbeiters die Behörden: Er hat vor knapp 40 Jahren einen Mord begangen und möchte zu seiner Familie – Frau und Tochter – nach Österreich zurückkommen, wo er in den 1970er-Jahren rund fünf Jahre rechtmäßig gelebt und gearbeitet hat.

Das Mordmotiv war damals Blutrache. Die Fremdenbehörde und das Landesverwaltungsgericht Wien wollten ihm die Familienzusammenführung verweigern, doch der Verwaltungsgerichtshof korrigiert die strenge Haltung: „Diese Auffassung ist in dieser Absolutheit nicht rechtmäßig“, entschied der VwGH (Ra 2015/22/0087).

Der Türke hatte Österreich unter Zurücklassung seiner Familie freiwillig verlassen. Den Mord hatte er 1976 in Berlin begangen. Ein türkisches Schwurgericht verurteilte ihn deshalb zu lebenslanger Haft. Nach seinen Angaben wurde er nach zehn Jahren bedingt aus dem Gefängnis entlassen; er habe keine weiteren Straftaten begangen, und im Zuge einer Amnestie sei ihm die Reststrafe endgültig nachgesehen worden.

Nach dem Gesetz ist ein Familiennachzug unter anderem dann nicht zulässig, wenn der Aufenthalt des Fremden in Österreich die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde (§ 11 Abs 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz). Dazu muss die Behörde nach der Rechtsprechung des VwGH fallbezogen eine Prognose ausgehend vom Gesamtverhalten des Fremden treffen.

„Mentalität nicht verstanden“

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien ist eine positive Prognose „im Fall eines vorsätzlichen Mordes (ein Pleonasmus, Anm.)für die Beurteilung nach § 11 Abs 4 NAG nicht möglich“. Weil die Blutrache gegen die Wertvorstellung eines europäischen demokratischen Staats und seiner Gesellschaft gerichtet sei und dem staatlichen Gewaltmonopol widerspreche, stehe sie den öffentlichen Interessen entgegen. Der Türke hatte verharmlosend gemeint, dass das Thema Blutrache außerhalb seines Geburtslands ein „etwas problematisches“ sei, weil „viele die türkischen Gepflogenheiten und Mentalität nicht verstehen können“.

Der VwGH gesteht nun dem Verwaltungsgericht zu, dass „die durch den Revisionswerber versuchte Relativierung seines Verbrechens keinesfalls das öffentliche Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu verringern vermag“. Sie kann, mit anderen Worten, ein gutes Argument sein, die Familienzusammenführung zu verweigern. Das Gericht übersehe aber, wie lang der Mord zurückliege, dass der Mann bestraft und wegen guter Führung entlassen worden sei und dass er nicht noch einmal strafrechtlich aufgefallen sei. Für den VwGH ist „nicht auszuschließen, dass nach einem derart langen Zeitablauf nunmehr eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (. . .) verneint werden kann“. Das Verwaltungsgericht muss jetzt nochmals entscheiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2016)

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