Sachverständige "beliebt wie Grippeviren"

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Gerichtliche Gutachten sind manchmal widersprüchlich und dauern. Doch das könne seine guten Gründe haben, meinen Experten. Zudem stimme es nicht, dass Staatsanwälte das Ergebnis beeinflussen wollen.

Wien. Unterschiedlicher könnten die Meinungen nicht ausfallen: Ein Sachverständiger kam zum Schluss, dass der Grazer Amokfahrer, der im Juni 2015 drei Menschen tötete und 34 Personen verletzte, nicht zurechnungsfähig sei. Ein anderer zugezogener Experte aber meinte, dass der Mann sehr wohl zurechnungsfähig war. „Ein bisschen Zurechnungsfähigkeit gibt es aber nicht“, betonte beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum Michael Enzinger, Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien und Professor für Handelsrecht an der Universität Wien.

Dass Gutachter unterschiedliche Schlüsse ziehen, ist kein Einzelfall. Und macht richterliche Entscheidungen schwierig, zumal diese nicht selten auf Erwägungen des Sachverständigen fußen. Ein Erklärungsversuch für unterschiedliche Gutachterergebnisse könnte in manchen Fällen sein, dass Menschen sich verändern. So war es jedenfalls in einem Fall, von dem Doris Täubel-Weinreich, Richterin am Bezirksgericht Innere Stadt und Obfrau der Fachgruppe Familienrichter, berichtete. In einer aus Marokko stammenden Migrantenfamilie war die Ehegattin ins Frauenhaus geflüchtet. Sie konnte kaum Deutsch, weil sie zuvor nur im Haushalt tätig war. Und sie war mit ihrer aktuellen Situation überfordert. Der Mann, der einem Beruf nachging, konnte gut Deutsch.

Das erste Gutachten attestierte der Mutter eine Persönlichkeitsstörung. Das hätte dafür gesprochen, die Obsorge für das Kind dem Vater zu übertragen. Bevor ein zweiter Gutachter sich den Fall anschaute, war mit der Mutter aber im Frauenhaus intensiv gearbeitet worden, auch machte sie eine Berufsausbildung. Und siehe da: Laut dem zweiten Sachverständigen wies die Frau keine Störungen auf. Es folgte ein drittes Gutachten: Dieses kam zum Schluss, dass beide Elternteile erziehungsfähig seien. Beide Eltern erhielten nun das Sorgerecht, weil der Nachwuchs aber schon beim Vater war, blieb er dort wohnhaft.

Gerd Konezny, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer und gerichtlicher Sachverständiger, weiß um die Popularität der Gutachterzunft. „Wir sind momentan so beliebt wie Grippeviren oder Zahnschmerzen“, scherzte er. Ihm war es aber ein Anliegen, Gerüchte über Sachverständige auszuräumen. Es sei keinesfalls so, dass der Gutachter ein Verfahren entscheide. „Ich bin nur ein Beweismittel“, sagte Konezny. Auch habe er nie erlebt, dass ein Staatsanwalt, der ihn als Sachverständigen im Strafverfahren bestellt habe, beeinflussen wollte. Sein Job in Prozessen sei sehr schön: „Ich muss nicht anklagen, nicht verteidigen, ich muss nur begutachten.“

Zu viel Vertrauen kann schaden

„Wertungsfragen sind die Domäne des Richters“, betonte auch Clemens Jabloner, früherer Präsident des Verwaltungsgerichtshofs und nun Vizeleiter des Instituts für Rechtsphilosophie am Juridicum. Zu Problemen könnte es aber bei einem zu engen Vertrauensverhältnis kommen, meinte Jabloner. Etwa, wenn ein Richter sich immer sicher wäre, dass Sachverständigenergebnisse einer bestimmten Person stimmen, sagte Jabloner.

Ein Thema in der Debatte war auch die Frage, wie sinnvoll Privatgutachten sind. Also die Ergebnisse von Sachverständigen, die nicht von Gericht, sondern von einer Streitpartei aufgeboten werden. Alexander Schmidt, Vizepräsident des Handelsgerichts Wien und Rechtskonsulent des Hauptverbands der Gerichtssachverständigen, hat es begrüßt, dass diese Sachverständigen inzwischen auch Fragen stellen dürfen. „Vorher durften sie es nur dem Verteidiger einsagen, und er hat es dann oft falsch verstanden“, berichtete Schmidt.

Privatgutachten sinnvoll?

Freilich haftet Privatgutachten immer der Ruf an, dass sie weniger wert sind, wurden sie doch im Auftrag einer Partei erstellt. Es sei aber sehr wichtig, dass es diese gebe, meinte Konezny, um noch mehr Seiten zu hören. „Das ist ja kein Kindergeburtstag, da wird vielleicht wer eingesperrt“, sagte er. Und auch wenn die vom Gericht bestellten Sachverständigen korrekt handeln sollten, könne es ausnahmsweise vorkommen, dass ein Privatgutachter auf einen Fehler hinweist. „Ich wäre dafür dankbar. Mir ist auch schon passiert, dass ich in der Hauptverhandlung ein Gutachten modifizieren musste“, sagte Konezny, wobei allerdings eine Zeugenaussage den Ausschlag gab.

Dass Gerichtsgutachten wiederum Zeit brauchen, müsse man verstehen, sagte Täubel-Weinreich. Gerade im Familienbereich, in dem zwei Elternteile zu prüfen seien und es auch um eine Prognose für die Zukunft gehe. „Es ist illusorisch, dass ein Gutachten in zwei Wochen passiert, es braucht Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2016)

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