Asylwerber sofort zurückschicken unmöglich

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Auch wer aus sicheren Ländern einreist, hat das Recht auf ein Verfahren. Die geplante Obergrenze ist rechtlich nicht haltbar.

Wien. Unabhängig davon, wie man über die Sinnhaftigkeit der von der Regierung beschlossenen Obergrenze für Asylwerber denken mag, sind es die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Errichtung und Durchsetzbarkeit von Obergrenzen bestimmen. Vor allem das europarechtliche Sekundärrecht, insbesondere die Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU, spielt bei der Frage nach der Machbarkeit von Obergrenzen eine wesentliche Rolle.

Von Regierungsseite wird vorgebracht, Asylwerber könne man, wenn die Obergrenze überschritten ist, direkt an der Grenze zurückschicken, sofern diese aus einem „sicheren Drittstaat“ kommen. Der sichere Drittstaat wird in Art. 38 der erwähnten Richtlinie näher definiert. Dort heißt es, dass das entsprechende Konzept nur dann angewendet werden darf, wenn sich der jeweilige Mitgliedstaat vergewissert, dass dem Asylwerber im Drittstaat keine Gefährdung von Leben und Freiheit droht. Und er die Möglichkeit hat, ebendort einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu stellen.

Gemäß Art. 37 der Richtlinie kann Österreich selbst Drittstaaten als „sicher“ qualifizieren. Hat Österreich einen Drittstaat als sicher qualifiziert, so könnte ein Asylantrag in Österreich grundsätzlich zurückgewiesen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass der Asylwerber an der Grenze zurückgeschickt werden darf. Wie Art. 38 Abs. 2 lit. c der Asylverfahrensrichtlinie vorsieht, muss ihm die Möglichkeit gegeben werden, die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaates anzufechten, wenn er beispielsweise vorbringt, dass der Drittstaat in seiner individuellen Situation nicht als sicher einzustufen ist.

Dies kann nur dahingehend verstanden werden, dass dem Asylwerber faktisch die Möglichkeit einzuräumen ist, den Zurückweisungsbescheid mittels Bescheidbeschwerde zu bekämpfen. Würde der Asylwerber direkt an der Grenze zurückgeschickt werden, wäre es ihm de facto nicht möglich, seine ihm zu gewährenden Rechte auszuüben.

Die Bestimmungen des Artikels 38 der Asylverfahrensrichtlinie sehen daher rechtsstaatliche Garantien im Einklang mit Kapitel III der Richtlinie vor. Diese machen ein Zurückschicken an der Grenze – ohne Durchführung eines entsprechenden Verfahrens und ohne Vornahme von Einzelfallprüfungen – unzulässig. Rechtsstaatliche Mindestgarantien, wie die Verpflichtung zur Durchführung eines Verfahrens und die Verpflichtung zur Gewährung eines ausreichenden Rechtsschutzes, werden durch die Asylverfahrensrichtlinie vorherbestimmt. Eine andere Interpretation, die das Vorhaben der Regierung mit den rechtlichen Bestimmungen in Einklang bringen könnte, scheint somit schwer vorstellbar.

Kein „Refugee in Orbit“

Die zweite Möglichkeit bestünde darin, einen Asylantrag mit der Behauptung zurückzuweisen, der Asylwerber komme aus einem „sicheren europäischen Drittstaat“. Auch hierbei ist ein sofortiges Zurückschicken an der Grenze nicht im Einklang mit dem klaren Wortlaut der Asylverfahrensrichtlinie.

Wie Art. 39 Abs. 6 der Richtlinie vorschreibt, müsste sich Österreich erst vergewissern, dass sich der betreffende europäische Drittstaat bereit erklärt, den Asylwerber aufzunehmen und einen entsprechenden Antrag auf internationalen Schutz entgegenzunehmen. Verhindert werden soll damit, dass der Asylwerber zu einem „Refugee in Orbit“ wird; einem Asylwerber, dessen Antrag in keinem Land angenommen wird. Ein sofortiges Wegweisen an der Grenze würde daher auch insoweit nicht in Einklang mit geltendem EU-Recht stehen.

Eine Lösung könnte allenfalls der bereits erwähnte Art. 39 Abs. 6 der Asylverfahrensrichtlinie bieten: Österreich kann einen Asylantrag als unzulässig zurückweisen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren europäischen Drittstaat kommt. Voraussetzung ist, dass Österreich dafür Sorge trägt, dass der sichere europäische Drittstaat sich zum Asylverfahren bereit erklärt. Verweigert der betreffende Staat die Annahme des Asylantrags, so schreibt die Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass dem Asylwerber dennoch ein Asylverfahren gewährt wird.

Die Bestimmung könnte so verstanden werden, dass alle EU-Staaten verpflichtet sind, zur Gewährung eines Asylverfahrens beizutragen, wenn sowohl Österreich als auch der sichere europäische Drittstaat ein Asylverfahren (etwa wegen Kapazitätsengpässen) verweigern.

Im Ergebnis würde das bedeuten, dass Österreich den Asylwerber keineswegs an der Grenze zurückschicken darf. Es könnte die anderen Mitgliedstaaten allenfalls auffordern, der Verpflichtung zur Mitwirkung an der Gewährung eines Asylverfahrens nach Maßgabe des Art. 39 Abs. 6 der Asylverfahrensrichtlinie nachzukommen. Ob die zitierte Bestimmung in diesem Fall tatsächlich im Sinne einer Kooperationsverpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten gelesen werden kann, ist freilich umstritten.

Nicht mit EU-Recht vereinbar

Unstreitig ist jedoch, dass es rechtlich geboten ist, Asylwerbern ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten. Der Rückgriff auf den klaren Wortlaut der Asylverfahrensrichtlinie macht deutlich, dass Obergrenzen in der von der Regierung vorgesehenen Form nicht mit dem Europarecht vereinbar wären.


Mag. Elisabeth Hoffberger ist Assistentin am Institut für Völkerrecht der Johannes-Kepler-Universität Linz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2016)

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