„Kein Stück über Syrien“: Unsere Flüchtlingsgeschichten

(C) Aktionstheater-Ensemble
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Ein schamloses, schlaues, höchst unterhaltsames Stück über die Befindlichkeiten der Helfer und Nichthelfer in der Flüchtlingskrise.

Da passiert gerade etwas Großes!“ Michaela ist aufgeregt. Auf dem Westbahnhof sind Tausende Flüchtlinge angekommen – und sie ist nicht dabei. Im falschen Bundesland, fern vom „Flüchtlingsevent des Jahres“. Kaum in Wien angekommen, eilt sie zum Bahnhof, schnappt sich eine Familie, um sie in ihrer Wohnung unterzubringen. Als alle Verwandten sich zum Abmarsch versammelt haben, erschrickt sie: „Das waren zwölf Personen!“

Vom Helfen, Helfenwollen und Nichthelfen erzählt „Kein Stück über Syrien“, die neue Produktion des Aktionstheater-Ensembles. Regisseur Martin Gruber hat, wie üblich in seiner Theater-Eingreiftruppe, aus Interviews mit seinem Ensemble einen Text gestrickt, der ihre Erfahrungen in der Flüchtlingskrise aufgreift, weiterdreht, zuspitzt. Er wolle das „Gutmenschentum“, wie die Hilfsbereitschaft abwertend genannt wird, „bis zum Exzess provozieren“ – und dabei zeigen, wie überfordert wir alle mit der Situation seien, hat Gruber der „Presse“ im Vorhinein erzählt.

Pointiert und perfekt choreografiert

Die Übung ist gelungen. Das Stück überzeugt mit pointiertem Text, der auch Unangenehmes mit trockenem Witz anspricht, und mit einem eingespielten Ensemble, das in perfekt choreografiertem Redefluss die Nöte und Eitelkeiten der Helfer und Nichthelfer auf die Bühne bringt. Da ist eben Michaela (Bilgeri, die Schauspieler behalten ihre echten Vornamen), die monatelang Flüchtlingen eine Bleibe geboten hat und jetzt Anekdoten erzählt, von liebevollen Begegnungen und verstörenden Klogewohnheiten. Darüber zu sprechen fällt ihr nicht leicht, auch wenn sie stolz auf ihr Geleistetes ist: Nervös lüpft sie die viel zu kurze Bluse, fährt sich mit fahrigen Fingern durch das Haar. Dass Michaela so hilfsbereit war, findet Susanne (Brandt) wiederum „großartig“. Sie hätte auch gern beigetragen, war aber krank, außerdem war es schwierig, wegen der Raumaufteilung in ihrer Wohnung und so. Ging eben nicht. Aber der Wille!

Der war auch bei Alexander (Meile) da. Er hat sich von den Helfern auf dem Westbahnhof in das Backoffice versetzen lassen, weil es ihn so mitgenommen hat, Bananen an erwachsene Flüchtlinge zu verteilen: „Das Letzte, was die brauchen können, ist ein flennender Mittdreißiger.“ Das Bienenkostüm, das er trägt, habe „eine starke Berechtigung“, auch Bienen seien einmal eingewandert. Robert (Finster) tanzt derweil hochhackig und in enger Unterwäsche über die kahle Bühne, erzählt von seinem Zehenfetisch. Auch das ist eine Möglichkeit, von unangenehmen gesellschaftspolitischen Themen abzulenken. Die Flüchtlingskrise geht sicher wieder vorbei!

Zur Livemusik von Panda Pirate, zwischen lieblich hallenden Synth-Klängen und bewusstem Krach, schaukelt sich das Stück hoch und durchbricht dabei konsequent die vierte Wand. „Du, Michaela, das macht mir gar nix aus, dass du mehr Text hast als ich“, merkt Susanne gegen Ende des Stücks an. Der Satz spricht nicht nur die Methoden des Aktionstheater-Ensembles an und hebt das Stück damit auf die Metaebene, sondern formuliert letztlich, dass es bei den selbstlosesten Aktionen immer auch um einen selbst geht: Denn wer nicht geholfen hat, hat keine Geschichte zu erzählen. Und ist das nicht, was wir alle brauchen – eine Geschichte?

Werk X am Petersplatz, noch am 12. und 13. 2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2016)

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