Über Behinderung gelogen: Kein Grund für Kündigung

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Ein Mitarbeiter verschwieg dem Betrieb sein Leiden und wurde gekündigt. Das sei eine Diskriminierung, sagt das Höchstgericht.

Wien. Auch wenn ein Arbeitnehmer zur Frage seiner Behinderung gelogen hat, kann er nicht einfach gekündigt werden. Das zeigt ein Urteil des Obersten Gerichtshofs.

Als sich der Mann im Jahr 2011 in dem Betrieb als Schweißer bewarb, sagte er nichts von seinem Leiden. Der Grad der Behinderung war 2003 mit 60 Prozent amtlich festgestellt worden. Bei der Untersuchung durch den Betriebsarzt gab der Mann nur an, Kopfweh zu haben, erwähnte aber keine weiteren Leiden. Und er unterschrieb eine Erklärung, der zufolge er keine ihm bekannten Leiden oder Erkrankungen verschwiegen habe.

Ein Jahr nach der Einstellung wurde dem Arbeitgeber vom Bundessozialamt die Ausgleichstaxe vorgeschrieben: Deren Höhe richtet sich danach, ob man genügend Menschen mit Behinderung angestellt hat. Durch diese Vorschreibung erfuhr der Arbeitgeber, dass der Schweißer eine Behinderung aufwies. Darauf angesprochen leugnete der Mann aber weiterhin, in die Kategorie der begünstigen Behinderten zu fallen. Nach einer weiteren Nachfrage beim Bundessozialamt forderte die Firma den Schweißer auf, seine Behinderungen offenzulegen, damit man beurteilen könne, inwiefern sie für seinen Beruf relevant sind. Nun legte der Arbeitnehmer die Unterlagen vor, die ihn als begünstigten Behinderten auswiesen – aber, ohne die konkreten Gesundheitsbeeinträchtigungen darzustellen.

Einsatzfähigkeit gesichert?

Nachdem der Geschäftsführer erfahren hatte, dass man begünstigte Behinderte innerhalb der ersten vier Jahre im Betrieb ohne Zustimmung des Behindertenausschusses kündigen kann, setzte er diesen Schritt. Schließlich habe der Arbeitnehmer selbst auf Nachfrage die Behinderung verschwiegen. Und man könne, ohne vom konkreten Leiden zu wissen, nicht beurteilen, ob man den Arbeitnehmer in seiner Position einsetzen könne.

Der Arbeitnehmer klagte: Die Kündigung sei diskriminierend und damit rechtsunwirksam, erklärte er. Er habe seinen Job nämlich nur wegen seiner Behinderung verloren.

Das Landesgericht St. Pölten wies die Klage ab. Der Mann sei nicht wegen seiner Behinderung gekündigt und diskriminiert worden. Das Gericht konnte beim Arbeitnehmer auch keine körperlichen oder psychischen Funktionseinschränkungen feststellen. Laut dem Bescheid des Bundessozialamts hat der Mann eine Bindegewebsschwäche und altersentsprechende Abnützungserscheinungen, die aber keinen Einfluss auf seine Beweglichkeit oder Leistung haben. Eine Beschäftigung als Schweißer wäre problemlos möglich.

Das Oberlandesgericht Wien gab hingegen der Klage des Arbeitnehmers statt. Da der Mann den Bescheid des Bundessozialamts habe, sei von einer (latenten) Behinderung auszugehen. Der Mann sei diskriminiert worden, weil seine Kündigung im Zusammenhang mit seiner Behinderung gestanden sei.

Der Oberste Gerichtshof (9 Ob A 107/15y) bestätigte diese Ansicht. So könne das Interesse an der Erlangung eines Arbeitsplatzes das Informationsinteresse des Arbeitgebers überwiegen. Der Mann sei ein Jahr in dem Job tätig gewesen, ohne dass seine Einsatzfähigkeit geschmälert schien oder ein Gefährdungspotenzial ersichtlich wurde. Es gebe weiterhin kein Informationsbedürfnis des Arbeitgebers, es bleibe dem Mitarbeiter überlassen, ob er seine Behinderung vorlege. Die Kündigung wurde wegen Diskriminierung für unwirksam erklärt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2016)

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