Anwälte: "Dammbruch" bei Verschwiegenheit

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Während die Wirtschaftskammer will, dass Anwälte eine Gesellschaft mit Gewerbetreibenden gründen können, sehen Anwälte das skeptisch. Wenn, sei dies nur mit Freiberuflern wie Steuerberatern denkbar.

Wien. „Wer von Ihnen hat schon einmal eine Vorsorgewohnung gekauft?“, fragte Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich, ins Publikum. Viele Wege seien dafür nötig, zum Rechtsanwalt, zum Steuerberater, zum Notar oder auch zum Immobilienmakler. Ähnlich gehe es vielen Unternehmern, etwa einem Tischler, der umsiedle und dafür verschiedenste Dienstleistungen benötige.

Die „ideale Lösung“ des Problems wäre die Einführung der interdisziplinären Gesellschaft, meinte Schön beim letztwöchigen Rechtspanorama am Juridicum. Bei so einer Gesellschaft sollten nach Schöns Vorstellung Rechtsanwälte mit Angehörigen anderer freier Berufe (etwa mit Steuerberatern), aber auch mit Vertretern des Gewerbes zusammenarbeiten können. Qualitätsprobleme gebe es keine, weil ja auch Elektrotechniker und Installateure eine ordentliche Leistung erbringen müssten, meinte Schön.

Überlegungen für so eine Gesellschaft gibt es auch schon in der Politik. „Die Bundesregierung hat einen Reformdialog geführt, aber da war die Anwaltschaft nur sehr eingeschränkt beteiligt“, rügte Gernot Murko, Präsident der Kärntner Anwaltskammer und Vorsitzender des Arbeitskreises Berufsrecht im Österreichischen Rechtsanwaltskammertag. Murko fürchtete unter anderem mit Blick auf die anwaltliche Verschwiegenheit „einen richtigen Dammbruch“, wenn die Vergesellschaftung komme. „Wenn ein Anwalt nur 0,001 Prozent an der Gesellschaft hält, ist es eine Rechtsanwaltsgesellschaft“, sagte Murko.

Vor allem Versicherungen und Banken würden sich bei solchen Gesellschaften beteiligen, was „zum Nachteil der rechtsuchenden Bevölkerung“ ausschlagen könne. Zudem würden für Anwälte wichtige Regeln gelten, wie etwa die Verschwiegenheit, die Unabhängigkeit und die Vermeidung der Interessenkollision bei der Beratung. Wer würde das bei einer solchen Gesellschaft kontrollieren, wer sanktionieren?, fragte Murko.

„Nicht mit Rauchfangkehrern“

Freilich: In der Praxis würden ohnedies vor allem Freiberufler wie Anwälte und Steuerberater gemeinsam eine solche Gesellschaft abschließen, meinte Hanns F. Hügel, Rechtsanwalt und Professor für Unternehmensrecht an der Uni Wien. „Ich glaube nicht, dass die Anwälte sich mit Rauchfangkehrern zusammenschließen wollen“, sagte Hügel. Und für Klienten sei es tatsächlich einfacher, wenn sie nicht zwei Kanzleien beauftragen müssten.

Nutznießer einer solchen Gesellschaft wären nicht die großen Kanzleien, die ohnedies viele Fachgebiete abdecken. „Das wahre Interesse haben die kleinen Kanzleien, vor allem am Land, wo etwa der Steuerberater gern einen jungen Anwalt hineinnehmen würden“, meinte Hügel. Die Anwaltskammer, so rügte er, „sollte nicht nur von Standesinteressen ausgehen, sondern auch davon, was im Interesse des Klienten ist“, rügte Hügel. Er selbst hatte Ärger mit der Anwaltskammer, als er sich Anfang der 2000er-Jahre mit einer deutschen Kanzlei verbinden wollte, die Wirtschaftsprüfer in ihren Reihen hatte.

„Für das Notariat kommt eine Gesellschaft mit Gewerbetreibenden nicht infrage“, sagte Ludwig Bittner, Präsident der Österreichischen Notariatskammer und Honorarprofessor für Zivilverfahrensrecht an der Uni Wien. Er sprach sich aber dafür aus, Kooperationen zwischen Berufen zu vertiefen. „Da kann man noch viel mehr machen“, meinte Bittner.

Friedrich Rüffler, Vizedekan der Jus-Fakultät der Uni Wien und Professor am Institut für Unternehmensrecht, zog einen Vergleich mit der Medizin. „Wenn ich zum Arzt gehe, weil mir ein Knie wehtut, möchte ich keinen Arzt, der primär Unternehmer ist“, erklärte er. Und wenn ein Arzt einen Patienten wegen Depressionen behandle, werde der Betroffene auch nicht wollen, dass es jemand anderer erfahre, sagte Rüffler und spielte damit auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht an. Es wäre schwierig, die anwaltlichen Pflichten in einer interdisziplinären Gesellschaft zu wahren, warnte er.

Schön wandte ein, dass es auch bei einem Arzt vorkommen könne, dass er jemandem mit Zusatzversicherung eher eine Knie-OP vorschlage. Es gebe nun einmal seriöse und weniger seriöse Vertreter in einem Beruf. „Sie haben eine tief sitzende Abneigung gegenüber freien Berufen“, entgegnete Rüffler. „Das finde ich schlimm für eine Wirtschaftskammer“, legte er nach. Schön wies diesen Vorwurf von sich und erklärte, selbst aus einer Familie mit Freiberuflern zu stammen.

Lehren aus Panama-Papers

Das Thema Panama-Papers war ebenso in aller Munde – ist die darin verwickelte Kanzlei doch eine interdisziplinäre. Auch der sich aus dem Publikum zu Wort meldende Präsident der Wiener Anwaltskammer, Michael Enzinger, nahm darauf Bezug. Er würde mit heutigem Wissen noch schärfer formulieren als bei der Plenarversammlung der Kammer Ende März, sagte Enzinger. Schon damals hatte er die Anwaltschaft vor „Finanzbeteiligungen von Versicherungen oder von Finanzinvestoren, die besser unter dem Begriff Heuschrecken firmieren“, gewarnt. Eine Vergesellschaftung mit Freiberuflern wie Steuerberatern kann sich Enzinger aber vorstellen.

DIE NÄCHSTE DISKUSSION

Rechtspanorama an der WU. Nach dem Rechtspanorama am Juridicum am vorigen Montag findet heute Abend ein Rechtspanorama an der WU statt. Diese von der WU und der „Presse“ veranstaltete Podiumsdiskussion beschäftigt sich mit der Frage „Eine Zukunft ohne Bargeld?“. Es diskutieren Iris Lienhart, Leiterin der Rechtsabteilung der Erste Bank, Erich Kirchler, Vizedekan der Fakultät für Psychologie der Universität Wien, und die WU-Professoren Christoph Badelt (Sozialpolitik), Raimund Bollenberger (Zivil- und Unternehmensrecht) und Robert Kert (Wirtschaftsstrafrecht). Moderation: Benedikt Kommenda („Die Presse“). Ab 18.30 Uhr im Library & Learning Center am WU Campus, Festsaal 2. Eintritt frei!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2016)

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